Höllental: Psychothriller
in ihrer eigenen Wohnung gefühlt hatte.
Mara wurde den Anblick nicht los, als Sand auf Ricky eingestochen hatte. Die Überraschung in Rickys Gesicht, Sekunden später abgelöst durch Schmerz. So viel Blut. So unglaublich viel Blut.
Sand hatte von Ricky abgelassen und war zu Mara hinübergekommen. Er hatte ihr brutal ins Gesicht geschlagen und sie auf die Knie gezwungen. Mit einer Hand in ihrem Haar hatte er sie über den Teppich geschleift. Dann hatte er dem sich hilflos am Boden wälzenden und Blut spuckenden Ricky die Klinge des großen Messers an die Kehle gesetzt.
»Ich mach dir einen Vorschlag. Du zeigst mir, wo das ist, und ich lasse deinen Freund hier leben.«
Natürlich hatte Mara zugestimmt. Was sonst. Auch wenn Ricky so gut wie tot gewesen war und das Angebot nur eine Farce. Hätte sie dabei zusehen sollen, wie er ihm den Hals aufschnitt? Und wofür? Was auch immer Laura versteckt hatte, sollte Sand es doch finden. Hauptsache, der Alptraum ging endlich vorbei.
Mit dem Messer an den Rippen hatte Sand sie zu seinem Wagen geführt. Dort hatte er sie in den Kofferraum gesperrt. Bevor er die Klappe zugeschlagen hatte, hatte er ihr noch eine Frage gestellt.
»Mein Medaillon … Weißt du, wo es ist?«
Mara wusste natürlich, um welches Medaillon es ging. Der heilige Pankratius. Schutzpatron der Ritter. Sie hatte ja immer geahnt, dass es dem Mann gehörte, der Laura vom Berg begleitet und ihr etwas angetan hatte. Mara hatte verneint. Da hatte Torben Sand sich tief in den Kofferraum gebeugt und ihr das Messer an die Kehle gesetzt. Es war noch klebrig gewesen von Rickys Blut.
»Hat der Typ von der Bergrettung es noch?«
Mara hatte wahrheitsgemäß gesagt, dass sie es nicht wusste. Daraufhin hatte er ihr lange in die Augen geschaut und nach einer Lüge gesucht. Schließlich hatte er das Messer weggenommen und die Kofferraumklappe zugeschlagen.
Das war schon Stunden her.
Lebte Ricky noch? Er war sehr schwer verletzt und benötigte dringend einen Arzt. Wer aber sollte ihm helfen? Sand hatte ihm sein Handy abgenommen und die Telefonleitung in Lauras Wohnung gekappt. Wenn Ricky es nicht geschafft hatte, die Nachbarn zu alarmieren, war er sicher längst verblutet.
Was hatte er überhaupt in Lauras Wohnung gemacht?
Mara wäre jetzt tot, wenn Ricky nicht so überraschend aufgetaucht wäre. Aber was hatte er dort verloren? Sie wurde aus der ganzen Sache nicht schlau, wollte aber auch gar nicht mehr darüber nachdenken. Sie wollte nur überleben.
Als Kriminalist hatte er ein Gedächtnis für Namen. Das war schon immer so gewesen. Und als er jetzt den Telefonhörer auflegte, wusste Leitenbacher auch, was ihn an dieser Geschichte von Anfang an gestört hatte.
Der Name Torben Sand.
Gerade eben hatte Roman Jäger angerufen. Er hatte Leitenbacher erwischt, als er auf dem Weg zum Klo gewesen war. Wenn er schlief, trug er wegen des lauten Schnarchens seiner Frau Ohrenstöpsel, dann hörte er das Telefon nicht. Jäger war auf dem Rückweg von Augsburg und hatte knapp umrissen, was dort vorgefallen war. Leitenbacher konnte kaum glauben, wie sich der Fall Laura Waider entwickelte. Das war ja ein richtiges Chaos.
Leitenbacher rief die Nummer an, die Jäger ihm genannt hatte, und erreichte auch sofort einen Oberkommissar Ellering. Leitenbacher beantwortete dessen Fragen und erklärte sich bereit, die Augsburger Kollegen zu unterstützen.
Als das Gespräch beendet war, stand er vom Küchenstuhl auf und trat ans Fenster.
Es hatte wieder zu schneien begonnen.
Torben Sand?
Sand?
Sand?
Nichts.
In der nächsten Sekunde der Einfall.
Tobias Schollerer hatte in dieser Nacht keine Bereitschaft. Es war die erste Nacht seit einer Woche, in der er hätte ausschlafen können. Theoretisch. Praktisch war er gerade dabei, seinen Rucksack mit der Notfallausrüstung zu packen.
Seil, Karabiner, eine Kanne mit heißem Tee, Taschenlampe, Stirnlampe sowie eine professionell erweiterte Erste-Hilfe-Ausrüstung. Er war selbst Bergsteiger und oft genug bei Rettungsaktionen dabei gewesen, um zu wissen, was er benötigte. Das, was er dieses Mal vorhatte, würde allerdings eine ganz andere Sache werden. Er hatte Schiss davor, so einen Psychopathen zu verfolgen, das gab Tobias gerne zu, aber er würde seinen Freund Roman trotzdem nicht allein gehen lassen. Der war nämlich stur genug, um es zu versuchen.
Um Viertel nach fünf zog Tobias seine Bergstiefel und die gefütterte Jacke an. Dann nahm er noch einen Eispickel und die Steigeisen mit.
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