Höllische Versuchung
das Haus.
In diesem Moment kam Cerberus aus einer der Schluchten getrottet. Er winselte leise, wobei ihm brennender Geifer aus dem Maul troff. Er näherte sich dem Zaun, reckte den zottigen Hals und bewegte den linken Kopf schnüffelnd auf den Maschendraht zu. Ein blauer Funken traf ihn an der Nase. Cerberus jaulte auf, scharrte frustriert mit den Pfoten und verzog sich schließlich.
Elektrozaun. Seltsam. Zum Haus verliefen keine Leitungen, also musste der Strom im Inneren erzeugt werden. Ich lauschte angestrengt und vernahm das leise Brummen eines Generators.
Die Kellertüren wurden vorsichtig aufgeschoben. Etwas bewegte sich darunter, etwas Bleiches. Die rechte Türhälfte fiel ganz auf und ein Wesen sprang ins Freie. Der abgezehrte Körper erinnerte vage an einen Menschen, war aber vollkommen haarlos und ohne ein Fitzelchen Fett. Die blasse Haut war zum Zerreißen straff über die Muskelstränge gespannt, darunter konnte man die Rippen zählen. Es hatte einen Waschbrettbauch. Hände und Füße waren mit riesigen gelben Klauen bewehrt.
Ein Vampir. Und wo ein Vampir war, war auch ein Navigator nicht weit. Ich spähte durchs Fernglas.
Der Vampir hatte ein scheußliches Gesicht. Es glich einer Totenmaske, die zwar einem Menschen nachempfunden war, der aber jeglicher Ausdruck fehlte. Der Untote hielt inne, kauerte vor dem Kellerzugang. Er öffnete das Maul und entblößte zwei gelbe, sichelförmige Fangzähne. Er sprang mit einem Satz an die Hauswand und lief wie eine Fliege daran hoch, huschte über das dunkle Dach. Als mimte er den Weihnachtsmann in einem Horrorfilm, verschwand er mit einem Satz im Schornstein.
Mit dem Elektrozaun würden wir schon fertig werden, doch der Vampir war ein Problem. Zudem wussten wir nicht, wie viele sich noch im Haus befanden. Zwei wären eine Herausforderung. Drei Selbstmord. Besonders bei einer neuerlichen Magiewelle.
»Andrea?« Raphaels Stimme drang warm und weich an mein Ohr.
Ich sah ihn an. Was?
»Hat dir das Dingsda gefallen, das ich für dich dagelassen habe?«
Das Dingsda? Ach, das Dingsda . In puncto Liebeswerbung hatten die Gestaltwandler recht eigenartige Bräuche. Zumeist ging es darum, einer zukünftigen Gefährtin zu beweisen, wie clever und gewandt man war, indem man mühelos in ihr Territorium hinein- und hinaustänzelte. Da das Land an sich Eigentum des Rudels war, wurde unter ›Territorium‹ das Haus der Angebeteten verstanden. Die meisten Gestaltwandler brachen ein und hinterließen Geschenke, doch Boudas hatten einen seltsamen Sinn für Humor. Sie schlichen sich ins Haus der Zukünftigen und spielten ihr einen Streich.
Raphaels Vater hatte Tante Bs Möbel an der Decke festgeklebt. Raphaels Onkel wiederum hatte sich mit einem Dietrich Zugang zum Haus seiner Tante verschafft, alle Türen verkehrt herum gedreht, sodass die Klinken nach innen zeigten. Dieser Tradition gemäß hatte sich Raphael während der Midnight Games weggestohlen, war in meine Wohnung eingebrochen und hatte mir das Dingsda dagelassen.
»Ausgerechnet jetzt willst du das wissen?«, zischte ich.
»Sag einfach ja oder nein.«
»Findest du, dass ist jetzt der richtige Augenblick dafür?«
In seinen Augen leuchteten rote Blitze. »Vielleicht gibt es kein Danach mehr.«
Als ich mich umdrehte, sah ich Cerberus hinter uns in der Schlucht. Er stand absolut still und starrte uns mit seinen drei Augenpaaren hasserfüllt an.
Langsam wandte ich mich wieder zu Raphael um.
»Hat es dir gefallen?«, flüsterte er mir geradezu verzweifelt zu.
»Ja, ich fand es witzig.«
Ein Lächeln blitzte in seinem Gesicht auf und machte es unerträglich schön.
Mit ohrenbetäubendem Geheul stürzte sich Cerberus auf uns. Raphaels Kiefer schwollen an, waren mit einem Mal fellbewachsen. Ich warf mich auf den Rücken.
Das riesige mittlere Maul kam auf mich zu, schien mich ganz verschlingen zu wollen.
Ich feuerte.
Der erste Schuss traf das Vieh im Rachen. Es jaulte auf und ich setzte gleich noch zwei Schuss hinterher. Hautfetzen flogen durch die Luft und dort, wo einmal sein Schlund gewesen war, klaffte ein riesiges Loch, durch das ich den Himmel sehen konnte. Cerberus ließ den mittleren Kopf hängen. Ich rollte mich zur Seite, doch ausgerechnet dort scharrte er mit seiner Riesenpranke. Eine Kralle schrammte mir die Seite und das Bein entlang, schlitzte mir die Kleider auf. Es brannte wie Hölle.
Schnell rappelte ich mich hoch. Das linke Maul schnappte nach mir und verfehlte mich um Haaresbreite, da
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