Hörig (German Edition)
klammern. Als er die Zigarette auf den Boden fallen ließ und die Glut austrat, sah sie statt der Kippe eine Hand auf dem Boden. Die rechte Hand von Albert Retling. Und er zertrat sie.
Dann ging er zur Tür und stieg die Treppe hinauf. Ihr wurde übel. Wenn kleine Mädchen vernünftig sind! Und ganz genau wissen, was gut für sie ist! Eine verschwiegene Pistole im Koffer konnte nicht gut sein. Wenn er herunterkam, würde er sie töten, das wusste sie. Da half ihr auch der Brenner nicht.
Eddi, ich liebe dich. Es tut mir leid, Eddi. Es tut mir entsetzlich leid. Ich dachte, ich könnte es schaffen. Ich dachte, ich wüsste genug über ihn. Ich wusste ja auch sehr viel, alles, was du mir erklärt hast. Ich weiß nur nicht mehr, ob das alles richtig war.
Für Edmund war es eine furchtbare Nacht gewesen. Die Vorstellung, dass Patrizia in irgendeinem Hotelbett lag, natürlich nicht allein, neben diesem Dreckskerl, dass sie schlief, zufrieden und erschöpft von der Raserei, in die der Schweinehund sie versetzt hatte, verfolgte Edmund bis in den Morgen. Als er aufstand, hatte er das Gefühl, überhaupt nicht geschlafen zu haben.
Noch vor neun erschien Dorothea, bedrückt, ganz anders als in der Nacht, stiller und kleiner. Obwohl Edmund selbst sehr deprimiert war, entging ihm das nicht.
Dorothea folgte ihm in die Küche. Er hatte noch nicht gefrühstückt, hatte auch keinen Appetit. Sie machte Kaffee, rauchte eine Zigarette und noch eine, während sie die erste Tasse trank. Bis dahin hatten sie kaum ein Wort gesagt.
Als die Tasse leer war, hob sie den Kopf und erklärte: «Ich war eben noch mal bei seiner Mutter. Ich dachte, wenn ich allein hingehe, erreiche ich vielleicht etwas.»
Edmund antwortete ihr nicht, hob nur kurz die Schultern an und schaute dabei in seine Tasse. Der Kaffee war sehr stark. Patrizia brühte ihn nie so stark auf. Patrizia …
Dorothea legte eine Hand auf die seine. «Eddi, ich …» Sie brach ab und wurde ungehalten. «Herrgott, ich weiß, wie schlimm das für dich ist. Aber ich … Also, ehrlich gesagt, ich hatte dich für stärker gehalten.»
Er sich auch. Aber die Vorstellung, dass Patrizia mit diesem Kerl schlief, bereits mit ihm geschlafen hatte, die haute ihn einfach um. Und wenn sie in der nächsten halben Stunde zur Tür hereinkommen sollte, er wusste nicht, wie er dann reagieren, wie er sich ihr gegenüber verhalten würde.
Dorothea sagte etwas, er hörte nur mit halbem Ohr hin. Der Kaffee war wirklich viel zu stark. Er fühlte jeden Schluck wie einen Klumpen Teer im Magen. Und Dorothea sprach von ihrem Erfolg, erhoffte sich wohl ein Lob von ihm, zumindest einen anerkennenden Blick.
Warum erhofften sich nur immer alle etwas von ihm? Was dachten sie denn, wer er sei? Gottvater? Gütig und gerecht, alles verstehend und alles verzeihend? Da sollten sie besser noch mal in der Bibel nachlesen, wie nachtragend und kleinlich der Allmächtige war.
Dorothea hatte Schramms Mutter zwar zum Reden gebracht. Etwas von Bedeutung hatte sie aber nicht erfahren. Doch das sah sie anders. Als ob es noch wichtig gewesen wäre, dass Schramm in den vierzehn Tagen nach seiner Entlassung viel unterwegs gewesen war. Zusammen mit einem lustigen Vogel, der das Herz von Frau Schramm mit ein paar lächerlichen Kabarettstückchen im Sturm erobert hatte.
Ein netter Mensch, Heikos Freund, hatte sie Dorothea erzählt. Ein Gemüt wie ein Kind, schaute sich gerne Zeichentrickfilme an. Und konnte die Kanzlerin nachahmen, originalgetreu, auch den französischen Ministerpräsidenten und Guido Westerwelle und Frau von der Leyen.
Abends hatten die beiden mehrfach zusammen im Wohnzimmer gesessen und von der Zukunft geträumt, von besseren Zeiten, von Liebe, von Frauen. An anderen Abenden war Heikos Freund unterwegs gewesen, um sich irgendwo eine halbe Stunde mit einer Frau zu kaufen.
Heiko hatte so eine Andeutung gemacht. «Armes Schwein, der findet kein anständiges Mädchen, dabei ist er wirklich nicht übel.» Für Heiko wäre es undenkbar gewesen, zu einer Nutte zu gehen. Er wollte auch keine andere Frau, konnte die eine nicht vergessen, die ihm alles bedeutet hatte. Er sprach von nichts anderem, wenn er mit seiner Mutter allein war.
Und darüber sprach Dorothea fast eine Viertelstunde lang. Es gipfelte wieder mal in der Erkenntnis: Schramm liebt Patty, er liebt sie über alles. Er hat sie damals geliebt. Und daran hat sich in den vergangenen sieben Jahren nichts geändert.
Edmund konnte es nicht mehr hören. Und
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