Hörig (German Edition)
konnte.
Edmund hatte nichts übrig für Männer, die ihr Vergnügen und ihren Vorteil auf Kosten anderer suchten und speziell die Hilflosen und Schwachen aufs Korn nahmen, weil sie bei den anderen nichts erreichten. So einer war Anne Sobischs Liebhaber seiner Meinung nach.
Dass sie dem Kerl erneut nachgegeben hatte, beschwor in Edmund Bilder herauf, mit denen er sich nicht gerne auseinandersetzte. Unvermittelt sah er Patrizia vor sich. Die andere Patrizia, nicht die Frau, mit der er verheiratet war, sondern die Patientin, als die er sie kennengelernt hatte.
Blutjung, unerfahren und leicht manipulierbar, hilflos einer Flut von widersprüchlichen Gefühlen ausgeliefert. Von einem Mann ohne Gewissen ausgenutzt und beinahe zugrunde gerichtet. Einem Scheusal, dem es gelungen war, sie in jeder Hinsicht von sich abhängig zu machen. Süchtig nach Heiko Schramm war sie gewesen, in eine Art von Hörigkeit geraten, wie Edmund zuvor noch keine gesehen und gewiss keine behandelt hatte.
Bei einem Hang zur Esoterik hätte man die Erinnerungen, die sich da plötzlich vor sein geistiges Auge schoben, durchaus als Alarmsignal, dunkle Vorahnung oder mentalen Hilferuf werten können. Doch an solche Dinge glaubte Edmund nicht. Er war durch und durch Realist. Und Patrizia war seit Jahren geheilt. Sie war heute ein ganz anderer Mensch als der, den Heiko Schramm vor knapp acht Jahren in seine Finger bekommen hatte. Patrizia war sozusagen ein neuer Mensch. Und das war ausschließlich das Verdienst ihres Therapeuten. Sein Verdienst.
Er hatte ihr in aller Deutlichkeit erklärt, was damals mit ihr geschehen war und warum es hatte geschehen können. Vielleicht hatte sie nicht alles begriffen, was er ihr begreiflich zu machen versuchte. Aber so viel immerhin hatte sie verstanden: dass sein Wort die letzte und einzige Wahrheit darstellte. Mochten hundert andere das Gegenteil behaupten – die irrten sich dann eben. Patrizia würde nie wieder in solch eine Situation geraten. Davon war Edmund an diesem Vormittag noch felsenfest überzeugt.
Sie waren seit drei Jahren verheiratet. Patrizia war fünfundzwanzig, Edmund vierundvierzig, er wirkte jedoch jünger, hatte immer auf sein Aussehen und seine Kondition geachtet und war sich einer gewissen Eitelkeit sehr wohl bewusst. Er trieb Sport, ging regelmäßig zweimal in der Woche schwimmen und spielte Squash, wann immer seine Zeit das erlaubte. Im Urlaub kamen je nach Jahreszeit Tauchen, Reiten, Wandern und Skifahren hinzu.
Und was die innere Ausgeglichenheit betraf: eine hübsche, junge, leidenschaftliche Frau, die ihr Verlangen ohne Hemmungen und ohne falsche Scham zeigen konnte. Die Harmonie einer guten Ehe, die Übereinstimmung in allen wichtigen Punkten. Was wollte ein Mann mehr?
Der vergangene Abend war wieder einmal perfekt gewesen. Ein köstliches Essen. Patrizia war eine ausgezeichnete Köchin und verstand sich darauf, eine romantische Atmosphäre zu schaffen. Brennende Kerzen, stimmungsvolle Musik im Hintergrund, genau so, wie er es mochte. Das Dessert vor dem Kamin im Wohnzimmer. Anschließend ein guter Film.
Obwohl Patrizia von der Handlung bei weitem nicht so fasziniert war wie er, zeigte sie keine Anzeichen von Ungeduld oder Langeweile. Wie in Gedanken versunken saß sie mit untergezogenen Beinen neben ihm auf der Couch. Hin und wieder spielte die Andeutung eines verträumten Lächelns um ihre Lippen.
Edmund kannte diese Haltung an seiner Frau zur Genüge und wusste genau, womit sie sich insgeheim beschäftigte, was ihn seinerseits nicht kaltließ. Als der Abspann über den Bildschirm flimmerte, rutschte sie von der Couch, kniete sich davor auf den Boden, schaute noch kurz und mit vor Erregung geweiteten Pupillen zu ihm auf. Dann legte sie ihren Kopf auf die Sitzfläche, schloss die Augen und wartete auf ihn. Lange hatte sie nicht warten müssen.
Patrizia mochte diese schnellen, heftigen Akte und benutzte sie häufig als Vorbereitung für eine ausgedehnte Nacht, wofür er gestern allerdings zu müde gewesen war. Sie versetzte sich selbst in die richtige Stimmung, indem sie zuvor ihrer Phantasie freien Lauf ließ. In solchen Momenten durfte er sie gar nicht berühren, weil jede Berührung die falsche sein konnte. Er wusste das. Und er ging selbstverständlich davon aus, dass er eine wichtige Rolle in Patrizias Phantasien spielte. Er! Und nicht etwa dieser Widerling Heiko Schramm. Den hatten sie doch gemeinsam abgehakt und aus Patrizias Leben gestrichen. Nicht unbedingt nach den
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