Hörig (German Edition)
Waffe in die Hand gedrückt, drang nachts um zwei ins Haus ein und zwang Albert Retling, die Stahltür und den Tresor zu öffnen. Es war wirklich alles nach Plan gelaufen. Bis auf die Tatsache, dass er Albert Retling fast totschlug.
Schramms Kommentar dazu: «Der hat mich gereizt. Er hätte ja die Schnauze halten können. Hat ihm keiner gesagt, er soll auf der Kleinen herumhacken. Die hatte damit doch nichts zu tun.»
Das hatte Albert Retling auch gar nicht angenommen, er bestritt, die Sprache auf Patrizia gebracht zu haben. Und seine Frau bestätigte das.
Der zum Zeitpunkt des Überfalls zweiundsechzigjährige Albert Retling hatte diverse Prellungen und Knochenbrüche sowie ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten und lag wochenlang im Koma. Beim Prozess war er noch auf den Rollstuhl angewiesen und hatte erhebliche Konzentrationsstörungen. Dass er sich je wieder völlig erholen würde, schlossen die behandelnden Ärzte aus.
Trotzdem las sich seine Aussage zu Anfang nüchtern, als hätte er kühl und sachlich auf die Fragen der Staatsanwältin geantwortet und sich bemüht, nicht melodramatisch zu schildern, wie er aufgewacht war in jener Nacht. Geweckt vom Lauf einer Pistole, die gegen seine Schläfe gedrückt wurde. Neben seinem Bett stand ein Mann, dessen Gesicht in Wildwestmanier von einem schwarzen Tuch verborgen wurde, nur die Augen waren frei.
Albert Retling musste zusehen, wie der Maskierte seine Frau fesselte und knebelte. Dann wurde er aufgefordert, nach unten zu gehen und keine Zicken zu machen.
«Er sprach undeutlich», hatte Retling erklärt. «Ich habe gar nicht richtig verstanden, was er sagte. Aber die Situation war eindeutig.»
«Haben Sie sich in irgendeiner Form widersetzt?», fragte die Staatsanwältin.
«Nein», antwortete Retling. «Ich hielt es für besser zu tun, was er verlangte. Ich habe die Werkstatt und den Tresor aufgeschlossen und den gesamten Inhalt auf Anweisung in einen Stoffbeutel gepackt, den der Maskierte mir hinhielt.»
«Wurde dabei gesprochen?», fragte die Staatsanwältin.
«Nein», sagte Retling schlicht.
«Aber es wurde später noch gesprochen», stellte die Staatsanwältin fest, die natürlich längst wusste, was sich abgespielt hatte.
«Ja, später», bestätigte Retling. «Wir waren bereits wieder oben in der Diele, als der Maskierte mich fragte, ob ich mir nicht schon Gedanken darüber gemacht hätte, wie er ins Haus gekommen sei, ohne die Alarmanlage auszulösen.»
«Was haben Sie auf diese Frage geantwortet, Herr Retling?», erkundigte sich die Staatsanwältin.
Darauf hatte Albert Retling nicht sofort antworten können. Laut einer handschriftlichen Notiz von Paul Großmann hatte er minutenlang nur unzusammenhängende Worte gestammelt. Er hatte nicht einmal mehr auf die Frage, ob er eine Pause brauche, eine verständliche Antwort geben können.
Paul war der Blick aufgefallen, mit dem Albert Retling zum Angeklagten hinschaute. Und der Blick, mit dem Schramm den Mann im Rollstuhl betrachtete. Weiter tat Schramm nichts, fixierte sein Opfer nur und verwandelte es damit in ein stotterndes Häufchen Elend.
Den Blickwechsel bemerkte offenbar nicht nur Paul. Die Staatsanwältin stellte sich vor Retling, um Schramm die Sicht zu nehmen, es half nur nichts mehr. Erst nachdem Schramm auf Anweisung des Vorsitzenden Richters aus dem Gerichtssaal geführt worden war, fasste Albert Retling sich wieder und brachte seine Aussage zu Ende. Und die las sich doch etwas anders als das, was Schramm zu diesem Punkt von sich gegeben hatte.
«Ich sagte ihm, dass ich noch keine Zeit zum Denken hatte.»
«Wie reagierte der Maskierte darauf?», fragte die Staatsanwältin.
«Er wedelte mir mit einem Paar Sicherheitsschlüsseln vor dem Gesicht und sagte, ich müsse auch nicht großartig denken, es läge doch auf der Hand, dass er nur mit diesen Schlüsseln hereingekommen sein könnte.»
«Sind Sie völlig sicher, dass der Maskierte von den Schlüsseln sprach und Ihnen diese sogar zeigte?», hakte die Staatsanwältin nach. Dieser Aspekt war ihr wohl besonders wichtig. Aus gutem Grund, fand Edmund beim Lesen.
«Absolut sicher», sagte Albert Retling.
«Und was geschah dann?», fragte die Staatsanwältin.
«Er schlug mich nieder», sagte Albert Retling.
Für das Folgende gab es keine Zeugen. Frau Retling im ersten Stock hatte nur noch Geräusche gehört. Aber es zweifelte wohl niemand im Gerichtssaal daran, dass es sich so abgespielt hatte, wie Albert Retling es schilderte. Nicht einmal
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