Hörig (German Edition)
gewöhnt war, dass manche seiner Patientinnen sich irgendwann in ihn verliebten, der das normalerweise nicht zur Kenntnis nahm. Bis es ihn selbst erwischte.
Sein Geständnis, dass er sie nicht länger als Therapeut behandeln könne. «Wenn du diese Gespräche noch eine Weile fortführen möchtest, Patrizia», hatte Ed gesagt – zu dem Zeitpunkt hatte er sie schon eine Weile geduzt –, «werde ich einen Kollegen bitten, deine weitere Behandlung zu übernehmen.»
«Warum?», hatte sie gefragt.
Und Ed hatte gelächelt, nicht wie sonst, nicht nur freundlich. Da war noch etwas anderes in seinem Blick. «Weil mir etwas passiert ist, was mir nicht hätte passieren dürfen, Patrizia. Ich habe mich in dich verliebt. Ich sollte das jetzt gar nicht sagen. Es ist nicht gut für dich.»
Wie sie darüber dachte, fragte er nicht. Sie fand es gut, aber das musste sie Heiko nicht unbedingt erzählen.
Sie fand es sogar sehr gut, dass Ed sich in sie verliebt hatte. Heiko war unerreichbar und würde unerreichbar bleiben, selbst nach dem Tag seiner Entlassung. Weil es den Heiko, in den sie sich mit siebzehn verliebt hatte, doch gar nicht gab. Wenn sie glaubte, was Ed über ihn sagte, dann gab es ihn nicht.
Für sie war Ed schon seit Monaten nicht mehr nur ihr Therapeut. Er war so stark und so klug, er war genau so, wie sie einen Menschen brauchte. Sie hatte schon damit begonnen, ihm einen Platz in ihrem Bett einzuräumen, hatte sich ausgemalt, wie es mit ihm sein würde. Aber sie konnte sich nie vorstellen, dass Ed zur selben Zeit ebenfalls daran dachte, sie zu lieben. Er war nicht der Typ, der sich mit Gedankenspielereien zufriedengab. Ed war ein Praktiker.
Letzteres konnte sie getrost erwähnen, ebenso den Rest. Dass Ed sie an einen Kollegen überwies, hielt ihr Vater für überflüssig. Es ging ihr mittlerweile doch viel besser. Sie hatte zehn Kilo zugenommen und befand sich wieder in der Ausbildung. Nicht bei Albert Retling, sondern bei einem Goldschmied in Düsseldorf, bei dem ihr die Arbeit nur noch halb so viel Spaß machte.
Manchmal fühlte sie sich behandelt, als hätte sie ein Brandmal auf der Stirn. Aber sie wollte ihre Ausbildung unbedingt zu Ende bringen, weil ihr Heikos Abschiedsworte im Gerichtssaal noch im Kopf herumkreisten.
«Eines Tages zahlt sich das aus, wenn man einen Beruf richtig gut gelernt hat.»
Dabei konnte ihr neuer Chef ihr nicht viel mehr beibringen als das, was die Berufsbezeichnung aussagte: Gold schmieden. Winzige Diamanten und Halbedelsteine verarbeitete er nur, wenn es galt, einen Ehering mit einem Schmuckstein zu versehen. Ihr Vater hielt das für besser. Auch das erzählte sie Heiko und fuhr fort mit den Wochen ohne Ed.
Es war sein Vorschlag, damit sie sich über ihre Gefühle klarwerden und er seine eigene Situation bereinigen konnte. Er hatte doch damals in der Beziehung gelebt, die mit den Jahren in Gewohnheit erstarrt war.
Schließlich Eds Anruf in ihrem Elternhaus, um sich mit ihr zu verabreden, was ihren Vater in regelrechte Euphorie versetzte. Das erste richtige Rendezvous! Ed holte sie daheim ab, sie fuhren nach Köln, aßen in einem schicken Restaurant, machten anschließend einen Spaziergang im Stadtwald, wo er zu Eddi wurde. Ein immer noch starker Mann mit Erfahrung, an den sie sich anlehnen konnte. Sanft und geduldig, unverändert bereit, alles zu erklären und alles zu verstehen, aber nicht länger ihr Therapeut.
Und als Eddi zwei Jahre später dieses Haus entdeckte und fragte, ob sie ihn heiraten wolle … Sie brauchte einen Menschen, der sie verstand und nicht verurteilte, und es war doch sonst keiner da gewesen, der das wirklich konnte.
Heiko hörte sich das kommentarlos an. In seiner Miene regte sich nichts, dem sie hätte entnehmen können, welche Gefühle ihr Bericht in ihm auslöste. Erst als sie verstummte, lachte er und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, als ob er sich amüsiere. Doch sein Gesichtsausdruck stand im krassen Gegensatz dazu.
«Püppi», sagte er nach einem tiefen Atemzug, «du bist köstlich, weißt du das? Nee, das weißt du garantiert nicht. Lässt dich von so einem Psychofuzzi ausquetschen. Ich wette, du hast dem in aller Unschuld erzählt, wie wir beide uns das ausgemalt hatten. Kannst du dir nicht vorstellen, wie heiß du den Knilch damit gemacht hast? Diese Psychoonkels darf man nich’ unterschätzen. Wenn die erst mal wissen, wie man tickt, wissen sie auch, wie sie einen nehmen müssen und umdrehen können.»
Dann lächelte er sie
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