Hörig (German Edition)
Schramms Pflichtverteidiger erhob Einspruch und erinnerte daran, dass sein Mandant einen anderen Auslöser für seinen Gewaltexzess genannt hatte.
Laut Retlings Worten traf Schramm ihn beim ersten Schlag mit der Pistole seitlich so heftig am Kopf, dass er das Gleichgewicht verlor und zu Boden ging. Schramm riss ihn wieder hoch und trieb ihn mit Faustschlägen zurück zur Kellertreppe und die Treppe hinunter, wobei Albert Retling noch mehrfach stürzte und jedes Mal entweder erneut hochgerissen und mit Schlägen traktiert oder die Treppe weiter hinuntergetreten wurde. Schramm schleifte ihn bis in die Werkstatt, drosch und trat dort weiter auf ihn ein und drohte: «Ein Wort zu den Bullen über Patrizia, dann mache ich dich kalt. Und deine Alte gleich mit. Das ist ein Versprechen. Und was ich verspreche, halte ich immer. Wenn nicht heute oder morgen, dann eben in einer Woche oder ein paar Jahren.»
Danach hatte Albert Retling das Bewusstsein verloren. Und ohne sich weiter um den lebensgefährlich verletzten Mann oder die hilflose Frau zu kümmern, die gefesselt und geknebelt im ersten Stock des Hauses lag, die Fragen des Maskierten und das anschließende Gepolter gehört hatte und aus Angst um ihren Mann fast umkam, verließ Schramm das Haus wieder.
Er entkam mit einer Beute in Millionenhöhe. Zum größten Teil fertige Schmuckstücke, die Albert Retling nach eigenen Entwürfen für zwei Juweliere angefertigt hatte, bei denen nur außerordentlich gut betuchte Kunden einkauften. Weil der Auftrag noch weitere Teile umfasste, die in den nächsten Tagen und Wochen hergestellt werden sollten, waren Schramm auch zwanzig ungefasste Steine von jeweils einem Karat, zwei Dutzend lupenreine Halbkaräter und vier Behälter mit gekörntem Gold, wie sie von der Scheideanstalt an Goldschmiede geliefert wurden, in die Hände gefallen.
Aber lange hatte er sich nicht an seinem neuen Reichtum erfreuen können. Laut Vernehmungsprotokoll händigte er seinem Komplizen noch in der Nacht die Beute aus, weil der die Klunker tags darauf zum Hehler bringen sollte. Die Waffe gab er ebenfalls zurück, fuhr nach Hause und legte sich ins Bett.
Es war vereinbart, dass sein Kumpel ihm im Laufe des nächsten Tages seinen Anteil vorbeibringen sollte. Doch bevor es dazu kam, stand die Polizei vor der Tür. Und die glaubte in den anschließenden Verhören offenbar alles, was Schramm ihr servierte. Edmund tat das nicht.
So viel Skrupellosigkeit und so viel Dämlichkeit in einer Person, das ließ sich einfach nicht miteinander vereinbaren. Wer legte sich denn nach solch einem Überfall daheim ins Bett, wenn der Weg über Patrizias Schlüssel schnurgerade zu ihm führte? Schramm hätte in der Nacht ausreichend Zeit gehabt, um unterzutauchen, meinte Edmund. Seinen Anteil vom Erlös hätte er auch an einem sicheren Ort in Empfang nehmen können.
Nach endlos langen Minuten stellte Heiko die Tasse endlich wieder ab. «Hast dich richtig rausgemacht, Püppi», sagte er. «Siehst toll aus, ehrlich. Als ich hörte, dass es dir blendend geht, wollte ich es nicht glauben. Ich dachte, wie kann es ihr gutgehen ohne mich, wo es mir ohne sie die ganzen Jahre beschissen gegangen ist? Aber dir geht’s wirklich prächtig, oder? Erzähl doch mal. Wen hast du dir geangelt? Scheint ganz gut bei Kasse zu sein, der Knabe. Was macht er beruflich?»
Er ließ sich noch einmal Kaffee einschenken und rauchte die zweite Zigarette, während sie ihm erzählte, wie es für sie gewesen war nach dem Prozess. Die grauenhaften ersten Monate, keine lustvollen Phantasien mehr in den Nächten, nur dieses Damoklesschwert über ihrem Bett. Sieben Jahre ohne ihn! Und die entsetzlichen Schuldgefühle.
Die kleinen Trösterchen im Nachttisch ihrer Mutter, die Gedanken an Ewigkeit. Vor allem der Gedanke, nach dem Sterben bei ihm sein zu können für immer und alle Zeit. Er hatte doch einmal gesagt, dass die wahre Liebe nur im Tod ihre Erfüllung fand. Und dass man im Tod frei sei, dass man hingehen könne, wohin immer man wolle. Also hätte sie ihm auch in einer Gefängniszelle Gesellschaft leisten können.
Dann die Therapie, zwei Jahre mit Ed. Und während dieser beiden Jahre war er ausschließlich Ed gewesen, der starke Mann, der weise Mann, der alles verstand, alles erklären konnte und niemanden verurteilte. Gewiss kein junges Mädchen, das dem schwarzen Mann auf den Leim gegangen war. So drückte sie es Heiko gegenüber natürlich nicht aus, sprach nur von Ed als einem Mann, der daran
Weitere Kostenlose Bücher