Hörig (German Edition)
würde sie sich für ihn nicht ihr Leben so kaputtmachen.»
Es war ein seltsames Gefühl, neben Heiko in dem schmuddeligen, stinkenden Auto zu sitzen, dessen Scheibenwischer entsetzlich quietschten. Nach den ersten fünf Abenden, an denen er sie damals in Raderthal abgeholt und heimgebracht hatte – in einem Wagen, der längst nicht so schmutzig war und auch nicht dermaßen nach Teer und Nikotin stank –, waren sie nie wieder zusammen in einem Auto gefahren.
Einige Wochen später, nachdem sich die Lage – vielmehr ihr Vater – wieder beruhigt und er geglaubt hatte, das Thema Heiko Schramm sei vom Tisch, hatte sie frühmorgens im Bus einmal vorgeschlagen, er könne sie doch abends wieder mit seinem Auto von der Arbeit abholen, er könne ja sicherheitshalber wie zu Anfang an der Bushaltestelle auf sie warten.
«Lieber nicht, Püppi», hatte er gesagt. «Ist schon ganz gut, wenn wir beide nicht allein sind. Ich weiß nicht, ob ich mich allein mit dir in einem Auto so gut beherrschen könnte, verstehst du? In der ersten Woche war das noch was anderes. Da war es selbstverständlich, dass ich mich am Riemen reiße. Aber jetzt, wo wir uns so gut kennen und genau wissen, dass wir zusammenbleiben wollen. Du bist so süß. Könnte sein, dass ich ein paar Dinge vergesse und dir ein Kind mache. Was meinst du, was dann passiert? Dein Vater macht dir die Hölle heiß und sperrt dich ein, dass du nie wieder rauskommst. Darauf lasse ich es lieber nicht ankommen. Noch bist du keine achtzehn. Wenn wir die Hürde erst mal genommen haben, kann passieren, was will. Dann heiraten wir eben. Und dann tun wir es in einem Bett.»
Ungeachtet der Leute, die mit ihnen im Bus fuhren, von denen einige gespannt lauschten oder anzüglich grinsten, hatte er auch noch gesagt: «Ein Auto ist nämlich nicht das Wahre, zu eng, da macht das keinen Spaß. Wenn wir es tun, dann will ich Platz haben und gutes Licht, damit ich dich ansehen kann. Erst ansehen, dann anfassen. Dabei machen wir das Licht aus. Man kann im Dunkeln viel besser fühlen. Ist ja für dich das erste Mal. Da will ich, dass alles so ist, wie es sein soll. Das erste Mal vergisst man nämlich nie.»
Und dann hatte er ihr geschildert, was sie fühlen würde, wenn er sie im Dunkeln berührte. Wie ihre Haut unter seinen Fingerspitzen zu kribbeln und zu glühen begann. Wie ihre Brustwarzen sich aufrichteten, ganz hart und so empfindlich wurden, dass sie kleine Stromschläge hinunterschickten ins Zentrum der Lust. Das Spiel ihrer eigenen Muskeln hatte er ihr beschrieben, wie mit wachsender Erregung die Kontraktionen begannen, wie sie sich winden würde unter seinen Händen und unter seiner Zunge.
Und dann hielt der Bus, und sie mussten hinaus in den Regen. Es hatte heftig geregnet an dem Morgen. Das wusste sie auch noch. Deswegen begleitete er sie ein Stück, was er normalerweise nicht tat aus Furcht, dass man sie zusammen sah und ihr Vater davon erfuhr. Aber sie hatte keinen Schirm dabei. Fürsorglich zog er seine Jacke aus und hängte sie ihr über Kopf und Schultern, um sie vor der Flut zu schützen. Trotzdem wurde sie völlig durchnässt. Und ihr Höschen war bereits feucht, ihre Haut kribbelte und glühte genauso, wie er es ihr beschrieben hatte.
«Küss mich, Heiko. Küss mich einmal richtig lange.» Gebettelt hatte sie, beinahe geschluchzt vor Erregung, sich auf Zehenspitzen gereckt und die Arme um seinen Nacken schlingen wollen.
Er fing ihre Hände auf halber Höhe ab, hielt sie fest, schob sie ein wenig von sich ab und schüttelte den Kopf. «Lieber nicht. Wenn wir jetzt anfangen, kommen wir nicht mehr auseinander. Wir sind beide ziemlich überdreht. Wir würden glatt den Regen vergessen, du würdest dir einen Schnupfen holen, und morgen müsstest du im Bett bleiben. Dann könnte ich dich nicht mal sehen. Das ist es nicht wert. Beim nächsten Mal, Püppi.»
Damit legte er sich einen Finger an die Lippen, drückte ihn anschließend auf ihren Mund und nahm seine Jacke zurück. «Lauf», sagte er. «Ich bin bei dir.» Aber er blieb im Regen auf der Straße stehen.
Unvermittelt sah sie Ed vor sich. Nicht Eddi, sondern Ed, den Therapeuten. Ruhig und stark, verständnisvoll, einfühlsam und allwissend. «Warum, glauben Sie, hat Heiko es an dem Morgen abgelehnt, Sie zu küssen, Patrizia? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es am Regen lag. Kein verliebter junger Mann lässt sich von einem Schauer abhalten, und wenn die Sintflut herunterkäme. War irgendetwas an Ihnen, was ihn
Weitere Kostenlose Bücher