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Hörig (German Edition)

Hörig (German Edition)

Titel: Hörig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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gefertigt, ohne Glaseinsätze oder Spion, durch die man erkennen konnte, wer Einlass begehrte. Dafür hielt diese Tür laut den Herstellerangaben jedem Einbruchsversuch mindestens zehn Minuten stand. Das hatte damals nur nichts geholfen.
    Das Haus machte einen verlassenen Eindruck. Das sah Patrizia, als Heiko vorbeifuhr. An der Straßenfront und den Giebelseiten waren alle Rollläden heruntergelassen, mit Ausnahme des kleinen Fensters der Gästetoilette neben der Haustür. Davor war ein Gitter angebracht.
    Heiko fuhr weiter die Straße hinunter und einmal ums Eck, als wolle er sicherstellen, dass sie unbehelligt ans Ziel kamen. Schließlich hielt er am Straßenrand, stieg aus und nahm ihren Koffer von der Rückbank – aber nur um ihn im Kofferraum zu verstauen, was ihr einen Schreck einjagte und einiges Kopfzerbrechen verursachte.
    Dass sie zusammenzuckte, sah er wohl, glaubte aber anscheinend, sie schrecke vor dem Nieselregen zurück. «Tut mir leid, Püppi», sagte er. «Du hättest einen Mantel oder einen Schirm mitnehmen sollen. Daran hab ich auch nicht gedacht. Deinen Koffer hol ich gleich.»
    Mit den Worten legte er ihr seine Jacke über Kopf und Schultern, wie er es damals gemacht hatte. Doch diesmal schlüpfte er ebenfalls unter den provisorischen Regenschutz, nachdem er das Auto abgeschlossen hatte. Er legte ihr einen Arm um die Taille, und sie liefen den Weg zurück, er so dicht an ihrer Seite, dass sie Mühe hatte, nicht über seine Füße zu stolpern.
    «Hol ich gleich, hol ich gleich, hol ich gleich»
, schnarrte ihr seine Stimme durchs Hirn wie ein Endlosband. Wozu wollte er ihren Koffer holen, wenn sie nur hierhergekommen waren, um seinen Freund abzuholen? Wieso waren die Rollläden unten, wenn sich jemand mit den Retlings im Haus aufhielt? Oder hatte er den Kumpel nur erfunden, damit sie sich aus eigenem Antrieb entschloss, ihn zu begleiten? Warum liefen sie dann durch den Nieselregen? Er hätte doch einfach weiterfahren können, irgendwo auf die Autobahn. Wenn Eddi nach Hause kam und ihre Botschaft las, wären sie schon Hunderte von Kilometern weit weg gewesen.
    Über die Hausschlüssel schien er nicht zu verfügen, zog jedenfalls im Näherkommen keine aus der Hosentasche, um eilig mit ihr in dem scheinbar unbewohnten Haus zu verschwinden. Das bestärkte sie in der Annahme, dass die Fahrt hierher nur eine Finte war. Vielleicht sagte er, wenn sie vor der Tür standen: «Okay, Püppi, jetzt frag ich dich zum letzten Mal: Ist es dir wirklich ernst mit uns? Hast du noch was für mich übrig? Oder bist du nur mitgekommen, weil du gedacht hast, den Retlings passiert was, wenn du kneifst?»
    Eine Sekunde lang schien es, als wolle er am Grundstück vorbei. Dann machte er eine abrupte Drehung zur Seite, witterte wie ein Tier zur gegenüberliegenden Straßenseite und den Nachbarn rechts und links hinüber und schob sie mit dem Arm um ihre Taille und der Jacke über dem Kopf über die rötlichen Sandsteinplatten zur Haustür.
    Noch bevor sie die erreicht hatten, wurde die Tür geöffnet. Nicht sehr weit, Patrizia konnte nicht erkennen, wer im Eingang stand. Sie wurde über die Schwelle geschoben. Dann war die Haustür auch schon wieder zu. Heiko nahm ihr die Jacke ab. Und sie stand einem großen, sehr korpulenten und merkwürdig grinsenden Mann gegenüber, der sie auf widerlich eindringliche Weise von oben bis unten betrachtete.
    In der Diele war es nicht dunkel, wie sie erwartet hatte. Aus dem Wohnzimmer fiel Tageslicht ein. Dort waren die Rollläden also nicht unten. Aber das Wohnzimmer war von draußen auch nicht einsehbar, dahinter lag der Garten, der von einer hohen und dichten Hecke eingegrenzt wurde. Man sah aus anderen Gärten allenfalls abends den Lichtschein, wenn Lampen eingeschaltet waren.
    Auf den Schreck folgte Unbehagen, die Ahnung einer Gefahr, die sie sich lieber nicht zu detailliert ausmalte. Wie dieser Fettwanst sie anglotzte, regelrecht abtastete mit seinen Augen! Sein seltsames Grinsen dabei ließ sie frösteln.
    So ein widerlicher Kerl, schwabbelig und schmierig. Das Haar klebte strähnig an seinem Kopf. Unter einem Auge hatte er ein paar dunkle Punkte, sie waren zu symmetrisch angeordnet, als dass es Hautunreinheiten hätten sein können. Tätowierungen – Knasttränen, darüber hatte sie erst vor kurzem etwas gelesen. Die Platzierung war von großer Bedeutung, erinnerte sie sich. Mörder und Totschläger ließen sich eine Träne in den Augenwinkel stechen. Der hier hatte sogar drei.

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