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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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eisiges Schweigen am Tisch.

    Als die Reste kamen, kniete ich mich hin, schob mein Hauskleid über die Hüften und hockte mehr als zwei Stunden über einem Glastopf, um alles aufzufangen.
    Noch nie hatte ich Abfall solchen Wert beigemessen. Nur einmal, als Kind, hatte ich ein ähnliches Verhalten an den Tag gelegt und einen Vogel, den ich tot im Hof der Grundschule gefunden hatte, einen Monat lang in der Tiefkühltruhe aufbewahrt. Ich kann mich erinnern, daß meine Mutter, als sie ihn endlich, weiß bereift, gefunden hatte, den gesamten Inhalt des Gefriergeräts in den Müll warf und mir anschließend einen Vortrag hielt, daß Vögel Mikrobenschleudern seien und kein Mitleid verdienten; meine Mutter mißtraute schönen Dingen, für sie war Schönheit ein Rauchschild, hinter dem sich stets oppor-tunistische oder auch räuberische Absichten verbargen.
    Als sie dich zum ersten Mal sah, erschrak sie vor deiner Schönheit, die überall, wohin du auch kamst, alle Menschen berührte, deshalb hat sie dich nie ins Herz geschlossen.
    Nach über zwei Stunden auf dem Glastopf entschied ich, die Arbeit sei nun getan, und verschloß ihn mit einem Deckel. Auf den ersten Blick erinnerte es an Johannisbeer- oder Kirschmarmelade, aber wenn man näher hinsah, glich es nichts Bekanntem. Instinktiv sah man, daß es sich um etwas Fleischiges handelte, aus der Textur ließ sich schließen, daß es verderben konnte, es hatte das Gewicht toter Körper, und wenn man es kräftig schüttelte, machte es ein schmutziges Geräusch. An diesem Tag ließ ich die Tränen fließen, die in der Klinik ausgeblieben waren; wenn man zu großen Wert auf das eigene Aussehen legt, erleichtern Tränen nicht, weil sie entstellen. Ich wußte nicht mehr, was ich mit dem Topf machen sollte, gebetet habe ich jedenfalls nicht, Beten ist was für Angeber, die sich damit interessant machen wollen. Männer brauchen gar nicht erst zu beten, weil die Jungfrau Maria es ihnen abnimmt, im Gebet heißt es ja:
    »Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder«. Als ich klein war, hat mein Großvater so viel für mich gebetet, daß er damit womöglich das Gegenteil erreicht hat und der Himmel am Ende von den vielen erflehten Wohl-taten so erschöpft war, daß er mich verfluchte, vielleicht hat mein Großvater so doch dafür gesorgt, daß du in mein Leben getreten bist.
    Ich staunte über das viele Blut in dem Topf. Ich sah darin das Zeichen einer Fruchtbarkeit, die nichts mit meinen inneren Dramen zu tun hatte, und das hat mich irritiert, das Leben müßte sich, fand ich, meinen Befehlen unterwerfen und eine Verbindung zu meinen seelischen Zuständen eingehen. Meine Tante hat einmal vermutet, daß das Tarot sich über meine Zukunft nicht äußern wollte, liege womöglich daran, daß ich mit meiner Zukunft nichts zu tun habe, aufgrund einer Aberration der Natur folgten wir womöglich verschiedenen Wegen, ich und meine Zukunft, ich glaube, sie wollte mir damit sagen, daß meine Zukunft ohne mich stattfinden würde.
    Ich habe darüber nachgedacht, dir den Pott zu schik-ken, um dich zu schockieren. Mörder zum Beispiel versenden manchmal abgeschnittene Finger, Ohren oder Rattengerippe per Post an die künftigen Opfer, um ihnen mitzuteilen, daß ihr fataler Fehler nicht unbemerkt geblieben ist und sie nun bald an der Reihe sind. Anscheinend erhält das Leben der künftigen Opfer dadurch oft so einen Knick, daß sie die Arbeit lieber selber erledigen und sich zum Beispiel eine Kugel in den Schädel jagen; in solchen Fällen wirkt die Drohung wie Voodoo, sie trägt ihre Ausführung in sich, und der Mörder muß sich gar nicht erst die Hände schmutzig machen. An diesem Abend habe ich angefangen, dich zu hassen, und an diesem Haß hat sich bis heute nichts geändert. Der Haß ist etwas sehr Stabiles, zwischen manchen Völkern kann er Jahrhunderte überdauern, ohne an Kraft zu verlieren, und wenn er den Feind umzingelt hat, übt er einen solchen Druck aus, daß dieser in sich selbst zusammenbricht, um zu explodieren wie eine Supernova.
    Als ich an diesem Abend vor dem Glastopf saß, stellte ich mir vor, die Abtreibung habe Früchte getragen, und das Baby sei womöglich nachgewachsen. Ich goß den Inhalt des Topfes auf eine große Brotplatte und rührte darin herum, ich suchte nach einem weißen Fleck im roten Blut. Das Wattebäuschchen war nicht mehr da, aber ein bißchen von dir war noch darin, die ganze Masse hatte sich schließlich um deine Entladung geballt, wahrscheinlich

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