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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelly Arcan
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Treue und der Tendenz, mich durch andere ersetzen zu lassen, eine Verbindung besteht.
    In dieser Phase kam unsere Geschlechtsdifferenz wieder zu ihrem Recht. Wir hatten dazu unsere eigenen Theorien, die wir ständig wiederholten und um neue Argumente ergänzten, um den anderen zu überrumpeln und den Streit am Köcheln zu halten, bei dir ging es ums Testosteron, bei mir um die orgasmusgesteuerte Ovulation, unsere Enttäuschung war aufgeladen von biologi-schen Determinismen. Du sagtest, das Testosteron sei daran schuld, daß Männer ihre Frauen bis in alle Ewigkeit betrügen und ständig Kriege führen würden. Und da die Ursache der drängendsten Menschheitsprobleme in ihrem Blut zirkuliere, sei es nur folgerichtig, daß die Männer verzweifelt versuchten, dieser Probleme Herr zu werden, indem sie das Blut ihresgleichen vergössen.
    Frauen dagegen setzten ihr Beharrungsvermögen gegen den Bombenhagel und hielten die Männer wenigstens nachts bei sich fest. Ich sprach davon, wie Frauen sein sollten, das schwächte meine Theorie ein wenig, weil du von Tatsachen ausgingst und ich von Mythen. Ich sagte, ein Eisprung, der seinen Namen verdient, muß eine Entladung sein, ein von Schauern begleiteter Schub, der das Ei aus dem Eileiter preßt und direkt in die Gebärmutter wirft. So aber, mit Eizellen, die irgendwann durch den Körper schwirren, ohne daß mein Wille darauf einen Einfluß hat, sei es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die seit den Anfängen der Menschheit den Lauf der Geschichte präge. Wenn die Fortpflanzung von der weiblichen Lust abhängig wäre, könnten die Frauen gar nicht anders, als eine endlose Zahl von Männern um sich zu scharen, die ihnen zu Füßen lägen, ihre Institutionen von unten her aufbauten und einander für Inkompetenz zur Rechenschaft zögen. Sie würden sich im Kampf um die Befriedigung der Frauen dermaßen aufreiben, daß ihnen gar keine Zeit zum Kriegführen bliebe, und sie würden nie auf die Idee kommen, mehr als eine Frau haben zu wollen. Unter diesen Voraussetzungen hätte die Menschheit nicht überlebt, sagtest du, denn wenn die Männer die verborgene Seite des weiblichen Fortpflan-zungssystems und damit die Reproduktionsmechanismen nicht rechtzeitig erkannt hätten, wäre die Welt von Anfang an am Ende gewesen.
    Wenn wir uns auf dieses Terrain begaben, endete es immer mit Gebell, und wir ekelten einander an.

    *

    Als du mich verlassen hattest, machte ich mich auf die Suche nach dir und fing damit bei jenen an, die dich beeinflußt hatten. Nachdem ich alle Filme von Woody Allen gesehen und einen Roman von Celine gelesen hatte, ging es mir schlecht. An diesen Männern ist mir nur aufgefallen, daß beide ziemlich geschwätzig waren und nur einer die Frauen liebte.
    Eines Abends kam Josée vorbei und fand mich betrun-ken vor dem Fernseher, der ohne Ton Carrie Bradshaw und ihre drei Freundinnen in New York beim Shoppen zeigte. Josée hat sofort begriffen, daß ich an dich dachte und deshalb keinen Platz für jemand anderen hatte und daß sie für die Zeit, in der ich damit beschäftigt war, mir ein imaginäres Leben zu zimmern, ihre Freundin verloren hatte, und von dem Abend an habe ich sie nicht mehr gesehen. All meine Freunde haben sich in der Zeit von mir zurückgezogen, sie spürten die Einsamkeit, gegen die sie machtlos waren, weil du dahinter standest.
    Drei Monate lang habe ich meine Wohnung Ecke Rue Saint-Denis und Rue Sherbrooke nur verlassen, um mich in der Boîte Noire zum Gespött zu machen. Letztes Frühjahr blühte es in Montreal wie nie zuvor, seit ich dort lebte, doch ich vergrub mich zu Hause und hing den ganzen Tag vor der Glotze, weil die Vorstellung, daß du übers Plateau Mont-Royal spazierst, daß du einfach ohne mich weiterlebst, für mich vollkommen unerträglich war.
    Das war die Phase, in der ich die Wände meiner Drei-Zimmer-Wohnung verwünschte, Kette rauchte, Bier trank, fernsah und Schlaftabletten nahm. Von frühester Kindheit an hatten mich meine Eltern vor der Dekadenz gewarnt, die sich durch die Familiengeschichte zog.
    Mütterlicherseits waren sämtliche Männer am Alkoho-lismus gestorben, und es gab in diesem Zweig auch einen gewissen Hang zum Ertrinken.
    Drei Monate lang habe ich mir in der Boîte Noire täglich amerikanische Soaps geholt, ich habe sämtliche Folgen von den Sopranos, Six Feet Under, Sex and the City und Law and Order gesehen und Filme, die noch nie jemand anderer dort ausgeliehen hatte. Drei Monate lang liefen von morgens bis

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