Hoffnung am Horizont (German Edition)
zuwandte, standen Tränen in Hannahs Augen. Eine machte sich schließlich selbstständig und lief über ihre Wange. Hannah umarmte sie wortlos, dann stand sie auf und ging allein zum Haus zurück. Annabelle sah ihr nach. Hannah erinnerte sie in vielerlei Hinsicht an Kathryn Jennings. Sie waren beide so unschuldig und so naiv und hatten keine Ahnung, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sein konnten.
Annabelle schaute auf die zerpflückten Grashalme hinab, die vor ihren Füßen lagen. Das Böse in den Menschen überraschte sie nicht mehr. Aber das Gute in manchen Menschen überraschte sie oft immer noch.
Kapitel 9
M atthews Abneigung dieser Frau gegenüber wuchs mit jedem Schritt, den er durch die Stadt zum Haus des Pfarrers ging. Er hatte die letzten zwei Nächte damit vergeudet, sich über seine Situation den Kopf zu zerbrechen. Schließlich hatte er eine Entscheidung getroffen. Warum sollte er sich von einer wie Annabelle Grayson das Gefühl geben lassen, er käme als Bettler? Und er würde um etwas betteln, das ihm rechtmäßig gehörte?
Er hatte gestern Nacht lange wach gelegen und die Situation im Geiste durchgespielt.
Dieses Land hatte Johnny gehört. Als Jungen bereits träumten sie davon, eines Tages eine eigene Ranch irgendwo im Westen zu besitzen, sie miteinander zu bewirtschaften und Haymen Taylor weit hinter sich zu lassen. Haymen Taylor war jetzt Vergangenheit. Also sollte, auch wenn der Kindheitstraum in Matthews Gedächtnis im Laufe der Jahre verblasst war, das Land von Rechts wegen an Johnnys engsten und einzigen Blutsverwandten fallen.
Bei dem Gedanken daran, eine längere Zeit in der Gesellschaft dieser Frau zu verbringen, rebellierte Matthews Magen. Aber wegen der Ranch in Idaho und aufgrund von Johnnys ursprünglichem Angebot, das Land mit ihm zu teilen – Johnnys ausdrücklichem Wunsch , dass sie es miteinander teilen sollten –, ging Matthew unbeirrt weiter. Außerdem würde ihm jeder, der wusste, was Annabelle Grayson war und warum sie seinen Bruder überhaupt nur geheiratet hatte, recht geben.
„Guten Tag, Sir.“
Matthew verlangsamte seine Schritte, als er die Stimme hörte.
„Hätten Sie nicht Lust, sich meine Waren anzuschauen? Ich habe ein paar sehr schöne Sachen. Vielleicht finden Sie eine Kleinigkeit für Ihre Frau … oder vielleicht für Ihre Freundin.“
Matthew drehte sich um und schaute den alten Hausierer an, der auf ihn zutrat. Die Kleidung des Mannes war schmutzig und befleckt und hing viel zu weit um seinen dürren Körper. Als er lächelte, teilte sich sein struppiger Bart und brachte gelbe Zähne zum Vorschein. In diesem Moment stieg Matthew ein beißender Geruch in die Nase. Er wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Der Mann zog eine Handkarre hinter sich her. Matthew schaute hinein, betrachtete den Inhalt und bezweifelte stark, dass irgendetwas dabei sein könnte, das er brauchte oder wollte.
„Ich habe hier ein paar schöne Kämme.“ Der Hausierer hielt ihm etwas hin. „Oder vielleicht ein Parfumfläschchen, über das sich Ihre Frau freuen würde.“
Matthew fiel eine gute Verwendung für das Parfum ein, falls überhaupt noch etwas in der Flasche war. „Tut mir leid. Ich bin nicht interessiert.“ Selbst wenn er ein paar Münzen übrig gehabt hätte, er hätte dem alten Hausierer nichts gegeben, weil er es doch früher oder später in den Saloon tragen würde. Und so wie es aussah, wahrscheinlich wirklich früher als später.
„Tut mir leid, Sir. Ich kann Ihnen nicht helfen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, überquerte Matthew die Straße und rechnete voll und ganz damit, dass der Mann ihm nachrufen und ihn anflehen würde, etwas zu kaufen.
„Das macht nichts, mein Sohn. Vielleicht das nächste Mal. Danke, dass Sie stehen geblieben sind. Gott segne Sie.“
Als er die Stimme hinter sich hörte, verlangsamte Matthew seine Schritte und drehte sich um. Der Anblick grub sich tief in sein Gedächtnis ein. Der alte Mann hatte eine Hand zum Gruß halb erhoben, während seine viel zu große Kleidung um seinen dürren Körper schlackerte. Beides, sein Körper und seine Kleidung, waren sehr lange nicht gewaschen worden.
Aber der Mann lächelte, und das, obwohl er so wenig besaß.
Matthew schüttelte den Kopf und spürte, dass auch er zu lächeln begann. In einer Abschiedsgeste berührte er den Rand seines Hutes und sah, wie das Gesicht des Mannes aufstrahlte. Dann setzte er seinen Weg fort, hatte dabei aber das seltsame Gefühl, in der Schuld
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