Hoffnung am Horizont (German Edition)
jenem Abend wiedersahst?“
Annabelle zögerte, bevor sie antwortete, und wünschte erneut, sie könnte die Zeit zurückdrehen und vieles anders machen. „Ja, bald nachdem Jonathan und ich geheiratet hatten, zählte ich zwei und zwei zusammen.“ In gewisser Weise war sie Matthew gegenüber sogar zu Dank verpflichtet. Nachdem Jonathan im letzten Sommer Vieh in Denver gekauft hatte, hatte er die Herde mit seinen Rancharbeitern in Richtung Norden geschickt und war dann in der Hoffnung, seinen Bruder zu finden, nach Willow Springs gekommen. Wenn Jonathan Matthew nicht gesucht hätte, hätten sie sich wahrscheinlich nie getroffen und geheiratet. „Als wir eines Nachts im Bett lagen, begann Jonathan, von seinem jüngeren Bruder zu erzählen, von ihrer gemeinsamen Kindheit in Missouri und von ihrer Mutter. Dann erwähnte er den Namen seines Bruders, und da wusste ich es.“
„Hast du das Jonathan gesagt?“
Annabelle atmete langsam aus. „Nein. Aber als Matthew an unserer Hüttentür auftauchte, wünschte ich, ich hätte es getan. Ich hatte allerdings gedacht, sie würden sich nie wieder sehen, nachdem sie sich jahrelang aus den Augen verloren hatten.“
„Wie hättest du auch ahnen können, dass er eines Tages einfach so an eurer Tür stehen würde?“
Annabelle verzog leicht das Gesicht. „Jonathan hatte von Jake Samp-son im Mietstall erfahren, wohin Matthew gezogen war. Nach den Ereignissen um Kathryn und Larson war Matthew in Richtung Süden nach Texas gezogen. Ich kann ihm daraus keinen Vorwurf machen. Er hatte es wahrscheinlich damals genauso eilig, von hier wegzukommen, wie ich jetzt. Was ich damals jedoch nicht wusste, war, dass Jonathan Matthew geschrieben und ihn gebeten hatte, zu ihm nach Idaho zu kommen.“ Sie ließ ihren Blick über die Wiesen wandern. „Wenn ich von diesem Brief gewusst hätte … glaube mir, Hannah, ich hätte mich völlig anders verhalten. Vielleicht hätte ich dann den Streit zwischen den beiden Brüdern verhindern können.“
Hannah atmete langsam aus, als müsse sie das alles erst einmal verarbeiten. „Die zwei Brüder hatten wirklich nicht viel Ähnlichkeit miteinander, nicht wahr? Nicht nur in ihrem Aussehen, sondern auch in ihrem Temperament.“ Sie schaute Annabelle vielsagend an.
Annabelle gab ihr recht und warf dann einen Blick zu der Stelle, an der Matthew gestern gestanden hatte.
Jonathan war groß und kräftig gewesen, breit und muskulös gebaut, aber freundlicher und sanfter, als man es von einem Mann seiner Statur erwartet hätte. Matthew hingegen reichte mit seiner Körpergröße und seinem Gewicht zwar nicht an seinen älteren Bruder heran, doch er war trotzdem muskulös mit dunklen, ungezähmten Haaren, die seine braunen Augen noch faszinierender machten. Annabelle verstand sich selbst nicht. Es war wirklich seltsam, dass manche Menschen, wenn man sie besser kennenlernte, attraktiver und andere weniger attraktiv wurden.
„Sie hatten zwei verschiedene Väter. Das erklärt, warum sie sich nicht ähnlich sehen“, antwortete Annabelle. Aber wie war es mit ihrem Temperament? Was machte zwei Brüder so verschieden? „Jonathan hat mir erzählt, dass seine Mutter wieder geheiratet hat, als Jonathan noch jung war, und Matthews Vater sehr unangenehm und gewalttätig werden konnte, besonders wenn er trank. Jonathan hatte von den Peitschenhieben dieses Mannes Narben an den Schultern und Armen.“
Hannah antwortete einen Moment lang nicht. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand ein Kind schlagen kann. Oder eine Frau, Annabelle.“
Geistesabwesend berührte Annabelle die Narbe, die über ihre rechte Schläfe und Wange verlief. Sie hatte sich angewöhnt, ihr Leben im Bordell nicht in Jahren zu zählen, sondern als etwas zu betrachten, das wie ein Fremdkörper war und mit ihrem jetzigen Leben nichts mehr zu tun hatte. So lange war sie sich absolut sicher gewesen, dass sie im Bordell sterben würde. Daran hatte für sie nicht der geringste Zweifel bestanden. Aber Jonathan hatte ihr bewiesen, dass sie unrecht hatte. Er hatte sie zu einem hohen Preis ausgelöst und ihr dann den noch viel höheren Preis gezeigt, den Jesus vor langer Zeit bezahlt hatte, um sie zu erlösen.
Als sie sah, dass Hannahs Blick in Richtung Westen wanderte, folgte Annabelle ihrem Blick. Die goldenen Sonnenstrahlen tauchten die schneebedeckten Gipfel in ein warmes Licht und verliehen den Bergen den Anschein, als würden sie von innen heraus glühen.
Als Annabelle sich wieder ihrer Freundin
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