Hoffnung am Horizont
der Brust. Was war denn jetzt wieder falsch?
„Nein, weder noch. Ich
meine, ich wollte dir kein Kind anhängen. Ich weiß doch, dass so etwas nicht in
dein Leben passt, aber es war wirklich keine Absicht. Ich habe es nicht darauf
angelegt, ich war wirklich fest davon überzeugt, dass ich niemals eigene Kinder
werde haben können. Ich habe dich nie absichtlich belogen.“
Sekundenlang ist nun er
es, der mich ungläubig anstarrt und den Kopf schüttelt, bis sich sein Gesicht
auf einmal vor Zorn verzieht. Ich sehe seine mahlenden Kiefer, als er mit den
Zähnen knirscht, seine Hände ballen sich an seinen Seiten zu Fäusten und er
holt mehrmals betont tief Luft, als müsste er sich zusammenreißen, um sich zu
beherrschen. Als er endlich spricht, ist seine Stimme so eiskalt, dass ich
automatisch die Arme um meinen Oberkörper schlinge und zwei Schritte
zurücktrete.
„Meinst du, das denke ich
von dir? Dass du mir irgendwelche Lügengeschichten auftischt, um mir ein Kind
anzuhängen? Ich weiß, dass du das hier nicht geplant hast. Schon vergessen, ich
habe dich zu dem Test gezwungen. Ich dachte, du freust dich darüber! Ich tue es
nämlich sehr und habe vor, mich um dieses Kind zu kümmern. Und nur damit du es
weißt, jetzt gehst du zum Arzt, da gibt es keinerlei Verhandlungsspielraum. Es
ist auch mein Kind und ich möchte, dass du jede einzelne Vorsorgeuntersuchung
machst, die es gibt und ich möchte bei jedem Termin dabei sein. Wir beide
werden Eltern, Jules! Ab sofort haben wir eine Verantwortung und wir sind
verpflichtet, alles für dieses kleine Wesen zu tun. Egal, wie gut wir uns
verstehen, wir sind und bleiben jetzt ein Leben lang verbunden.“
Die letzten Worte brüllt
er schon fast. Dann dreht er sich um und stürmt aus der Wohnung.
Ich stehe noch immer im
Wohnzimmer wie festgewachsen, kralle meine Finger in mein Shirt und fühle mich,
als wäre ich gerade von einem Zug überrollt worden. Ein Zug namens Gabriel
Jackson. Ich weiß nicht, wie lange ich mich nicht rühre, aber irgendwann setzen
sich meine Füße wie von selbst in Bewegung und ich laufe ihm nach. Als ich auf
die Straße trete, sehe ich ihn. Ein paar Meter von meinem Haus entfernt, steht
er auf dem Bürgersteig und ringt sichtlich um Fassung. Immer wieder fährt er
sich mit beiden Händen durchs Gesicht und durch die Haare. Eine mittlerweile
vertraute Geste, das macht er immer, wenn er nicht weiter weiß, wenn er
irgendwie überfordert ist. Er geht auf dem Fußweg auf und ab, unruhig und
sichtlich um Fassung ringend, während einzelne Schneeflocken um ihn herum
tanzen und das Licht der Straßenlaterne die Szene beleuchtet. Es sieht aus, wie
aus einem Film. Langsam gehe ich auf ihn zu.
„Gabe…“
Er erstarrt, als er meine
Stimme hört und dreht sich aber nicht um. Ich überbrücke die letzten Meter
zwischen uns und lege ihm meine Hand auf die Schulter.
„Bitte, Gabe. Ich… Es tut
mir leid, was ich eben gesagt habe. Ich wollte einfach alles richtig machen und
habe damit alles falsch gemacht. Ich dachte, du erwartest so eine Erklärung von
mir. Ich weiß auch nicht…“ Zittrig atme ich tief ein, meine Gefühle drohen mich
zu überwältigen. „Ich kann es noch gar nicht fassen. Ich fühle mich, als hätte
mir gerade jemand den Boden unter den Füßen weggerissen und das Ganze hier
macht mir wahnsinnige Angst, aber gleichzeitig ist es so unglaublich schön,
dass es mich überwältigt. Ich glaube, ich bin einfach überfordert.“
Langsam, wie in Zeitlupe
dreht Gabe sich zu mir um, Schneeflocken haben sich in seine Haare und auf
seine Schultern gesetzt. Seine Augen glänzen, als hätte er gerade mit den
Tränen gekämpft. Er mustert mich schweigend, kneift ein wenig die Augen
zusammen und flucht dann leise.
„Verdammt, Mädchen, es ist
tiefster Winter und du rennst im dünnen Shirt und barfuß hier auf der Straße
durch den Schnee. Du holst dir noch den Tod!“
Ohne Umschweife hebt er
mich hoch und trägt mich schnell zurück ins Haus. Erst jetzt fühle ich die
Kälte, die sich bis auf meine Knochen ausgebreitet hat, aber ich muss auch
lächeln. Wenn Gabe schon wieder so besorgt um mich ist, dass er mit mir
schimpfen kann, scheint der Streit von eben fast vergessen zu sein.
Wieder in der Wohnung
wickelt Gabe mich sofort in die Wolldecke, die auf der Couch liegt.
Mittlerweile klappern meine Zähne und ich spüre meine Füße nicht mehr. Er setzt
mich auf das Sofa und verlässt wortlos das Zimmer. Ein paar Augenblicke später
ist er
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