Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
Augenblick lang halte ich Ausschau danach, ehe ich beschließe, dass dies dann doch ein zu absurder Zufall wäre. Ich probiere ein flottes schwarzes Exemplar aus, das von einem Basketball-Profi stammen könnte, oder von einem Orang-Utan, zumal die Ärmel gut fünfzehn Zentimeter über meine Finger hinaus vorstehen.
Im Spiegel sieht alles perfekt aus, von den Ärmeln abgesehen. Ich versuche es mit Ärmelaufrollen und sehe aus wie ein Kid aus den Fünfzigern auf dem Weg zu einem Tanzturnier. Ich lege den Orang-Utan-Anzug zurück und stelle fest, dass alle anderen Anzüge zu klein sind.
Jetzt trage ich einen Pullover. So kann ich vor Gericht zwar eigentlich nicht erscheinen, es wird mir aber nichts anderes übrigbleiben. Dabei hatte ich mir immer vorgestellt, dass ich, wenn man mich schon für ein Verbrechen verurteilt, das ich nicht begangen habe, den Richterspruch wenigstens in tadelloser Kleidung anhören würde. Mir fallen die 2600 Dollar ein, die ich noch am Konto habe, und ich frage mich, ob mir mein Anwalt wohl einen Anzug dafür kaufen würde. Er scheint aber eher nicht der Typ zu sein, der sich für so was hergibt, außerdem wird langsam die Zeit knapp.
Da kommt Hilfe von unerwarteter Seite. Der Officer, der mich hier nach unten gebracht hat, bemerkt, dass ich nichts finde, und sagt: »Probieren wir mal den da.« Er zieht einen Schlüssel von seinem Bund und öffnet eine Schranktür hinter dem Anzugregal. Er holt einen schicken grauen Anzug heraus, der einen wohlklingenden Designernamen trägt, und hält ihn vor mir hoch. Ich sehe das angeheftete Etikett einer chemischen Reinigung.
»Der wird passen«, sagt er. »Probieren Sie mal.«
»Vielen Dank, Mann.« Dieser Wärter gehört zur jüngeren Generation, stets mit ernstem Gesichtsausdruck, lässt sich kein Lächeln entlocken. Er vermittelt den Eindruck eines Ex-Soldaten, sein Namensschild weist ihn als »Walls« aus. Ich hatte ihn vorher kaum wahrgenommen. Vielleicht träumt er davon, eines Tages Herrenanzüge zu verkaufen. Er hat jedenfalls ein gutes Auge dafür. Ich probiere das gute Stück – und es passt perfekt.
»Das haut hin«, sagt er. Er tritt hinter mich hin und zupft am unteren Saum der Jacke herum, um den Sitz in der Schulter zu korrigieren, wie es ein echter Schneider nicht anders machen würde. Dann bürstet er ein paar Fussel von der Schulter. Ich fühle mich wie in einem exklusiven Herrenschneiderladen. Ich drehe mich zur Seite und betrachte mich im Profil. Sehe eigentlich ganz schmissig aus. Ich habe ordentlich ein paar Kilos verloren hier drinnen.
»Perfekt«, sage ich.
»Ich reserviere ihn und halte ihn bereit für Ihren Gerichtstag«, sagt er. Dann wieder ganz offiziell: »Legen Sie jetzt wieder Ihre Gefängnisuniform an.«
Während ich in mein weißes Gefängnis-Outfit schlüpfe, frage ich ihn, warum sich der Anzug in einem besonderen Kasten befunden hat.
»Der hat Clarence gehört«, sagt Walls. »Seine Familie hat ihn nicht abgeholt.« Er schlägt die Tür zu und sperrt ab. »Jetzt braucht er ihn wohl nicht mehr.«
Es ist vor Einbruch der Dämmerung, und wir sind alle im Ladedock versammelt, alle in unseren weißen Uniformen, alle in Handschellen. Durch dieses Ladedock haben sie mich gerollt, als ich meinen Blinddarmdurchbruch hatte, der mir schon Jahre zurückzuliegen scheint. Das war ebenfalls nachts damals, ich konnte nicht mehr sehen als die Rohre und Schläuche an der Decke, zu denen ich jetzt wieder hochblicke, wie in nostalgischem Gedenken süßerer Tage. So aufregend ist es, aus meiner verdammten Kiste heraus zu sein, dass ich alles rund um mich herum gierig einsauge.
Ein großer, grauer Bus mit Stahlgittern in den Fenstern und der Aufschrift TEXAS STRAFVOLLZUGSBEHÖRDE an den Seiten schiebt sich im Retourgang in das Ladedock und nebelt uns mit Dieseldämpfen ein. Die meisten Insassen stehen mit angelegten Handschellen in kleinen Gruppen beisammen und unterhalten sich. Das sind Leute von den Normalos, zwischen zwanzig und dreißig an der Zahl, und sie scheinen sich alle zu kennen. Wie ich sind sie aufgeregt wegen ihres Gerichtstermins. Endlich mal wieder was anderes! Eine Busfahrt in die Stadt ist jedenfalls eine coole Sache, wie immer das Ergebnis ausfällt.
Da sie mich nie zuvor gesehen haben, wissen sie, dass ich vom Todestrakt kommen muss, und ich bin überrascht, dass sie mich offenbar mit so was wie Respekt behandeln. Ein riesiger, muskelbepackter, tätowierter Glatzkopf betrachtet mich eine Weile, nickt
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