Hoffnung ist mehr als ein Wort (Bianca) (German Edition)
Wo steckt sie?“
„Marlene?“ Ihr Herz begann zu rasen. Ihr Mund war wie ausgedörrt. Sie konnte ihm nicht einfach so im Stehen und im Plauderton die Wahrheit sagen. „Sie ist nicht hier. Ich schlage vor, dass wir uns erst mal setzen, bevor ich dir alles erzähle.“
„Sicher.“ Er musterte sie, als wäre sie ein dreiköpfiges Alien und vor wenigen Sekunden einem Raumschiff vom Mars entstiegen. „Aber vorher muss ich ein Geschäft erledigen.“ Er deutete zum angrenzenden Badezimmer.
„Okay.“ Sie errötete vom Kopf bis zu den korallenrot lackierten Zehennägeln und stolperte zum nächsten Stuhl. „Dann warte ich hier.“
„Danke. Das ist großartig.“
Sobald Travis die Tür zum Waschraum hinter sich geschlossen hatte, atmete er tief durch.
Nach außen hin mochte er wirken, als hätte er stets alles im Leben fest im Griff. Im Innern sah es allerdings ganz anders aus. Nicht, dass er sein Metier, die internationale Welt der Elektronik, nicht hundertprozentig beherrschte. Sein Aufgabengebiet gefiel ihm nur nicht sonderlich – die Beaufsichtigung von Design und Fertigung elektronischer Geräte wie Flachbildfernseher und MP3-Player.
Er übte diese Tätigkeit allein aus Respekt gegenüber seinen Großeltern väterlicherseits aus, die ihn aufgezogen hatten. Mitchell Callahan hatte die Firma zu einer Zeit gegründet, in der ein Grammofon als letzter Schrei gegolten hatte, und sie auf seinem Sterbebett an seinen Enkel übergeben. Travis, damals kurz vor seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag, war nichts anderes übrig geblieben, als zu akzeptieren und die Familientradition fortzusetzen.
Bis vor fünf Minuten hatte er seine Pflicht relativ leidenschaftslos ausgeübt. Deshalb warf ihn die Begegnung mit dem frischen hübschen Mädchen aus seiner Vergangenheit ziemlich aus der Bahn, denn sie weckte geheime Hoffnungen und Träume, die besser verschüttet blieben.
Nachdem er sich die Hände gewaschen hatte, stand er lange am Becken und starrte sich im Spiegel an. Mit etwas Glück fand er sein Büro leer vor, wenn er das Badezimmer verließ. Vielleicht hat ja mein Sicherheitsteam inzwischen mitbekommen, dass die Frau wie für einen entspannten Tag auf dem Jahrmarkt gekleidet ist und ganz bestimmt nichts in den Räumlichkeiten von Rose Industries zu suchen hat.
Travis holte tief Luft und straffte die Schultern. Er wusste, dass seine Erscheinung viele Leute einschüchterte, und hoffte, dass Kit dazugehörte. Sie brachte ihn nämlich aus dem Konzept.
Früher einmal hatte er sich bei ihr und auch in Gegenwart anderer Frauen wohlgefühlt. Bis er seine ehemalige Kommilitonin und Verlobte Natalie mit seinem vermeintlich besten Freund im Bett erwischt hatte. Seitdem hatte er den Frauen zugunsten seiner Karriere abgeschworen. Nun, hin und wieder gönnte er sich langbeinige Gesellschaft – sofern sie sein Penthouse am Lakeshore Drive lange vor Sonnenaufgang wieder verließ.
„Jetzt besser?“, fragte Kit, als er aus dem Badezimmer kam.
Er grinste sie an und verschanzte sich hinter seinem antiken Mahagonischreibtisch. Seltsamerweise führte dieser kleine Schritt tatsächlich dazu, dass er die Kontrolle wiedergewann, die ihm für kurze Zeit entglitten war.
Travis räusperte sich. „Es ist großartig, dich mal wieder zu treffen, aber wie du siehst, habe ich furchtbar viel zu tun.“ Er deutete auf einen hohen Aktenstapel, der schon fast umzukippen drohte. „Also, wo liegt das Problem? Braucht meine Schwester Bares zum Shoppen, weil sie ihre Kreditkarte verloren hat? Wo steckt Marlene überhaupt?“
Obwohl ihre letzte Begegnung über zehn Jahre zurücklag, wirkte der Blick aus ihren grasgrünen Augen immer noch durchdringend und ihr Lächeln nach wie vor bezaubernd. Allerdings verschwand die Fröhlichkeit plötzlich wie die Sonne hinter einer Wolkenbank.
Kit kramte in ihrer Tasche, die wie ein kleiner Picknickkorb aussah, bis sie ein Taschentuch fand. Sie hickste und brach im nächsten Moment in Tränen aus.
„He, ganz ruhig!“ Er ging zu ihr und legte einen Arm um sie – nicht im Entferntesten wie damals, sondern auf strikt brüderliche Weise. Unbeholfen tätschelte er ihr den Rücken. „Bestimmt wird alles wieder gut.“
„Nein. Nie wieder. Ach, Travis, Marlene ist …“
Die Gegensprechanlage summte. „Mr Callahan, Steve Ford von Kline und Foster ist auf Leitung drei.“
Verdammt. Hin- und hergerissen zwischen der schluchzenden Schönheit neben sich und dem bedeutsamen Anruf, wägte Travis ab.
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