Hoffnung ist mehr als ein Wort (Bianca) (German Edition)
sie zu dir gebracht haben! Sie kennt dich überhaupt nicht. Ich dagegen habe mich von Anfang an mehrmals in der Woche um sie gekümmert. Was meinst du also, wer am besten geeignet ist, für die Kleine zu sorgen?“
Sie holte tief Luft, bevor sie fortfuhr: „Ich, ihre liebevolle Großmutter, die bereits ein eigenes Kind aufgezogen hat? Oder du, ein Junggeselle, der so mit sich selbst beschäftigt ist, dass er nicht mal gelegentlich einen Besuch bei seiner angeblich so geliebten Schwester einlegen konnte? Und noch etwas – hast du in deinem ganzen Leben schon mal eine Windel gewechselt? Geschweige denn ein Fläschchen hergerichtet oder eine Ladung Wäsche gewaschen? Frank und ich sind Libbys Familie. Kennst du bei deiner Vorgeschichte überhaupt die Bedeutung von Familie? Ich wette …“
„Das reicht, Beulah.“ Ein älterer Mann betrat das Zimmer und reichte Travis die Hand. „Ich bin Frank Redding. Ich würde ja gern sagen, dass es mich freut, dich kennenzulernen, aber ehrlich gesagt wäre mir die Begegnung mit einer Grubenotter lieber.“
Ganz meinerseits. Travis biss die Zähne zusammen. Nicht, dass er jemals mit einer Schlange aneinandergeraten war, doch der Vergleich beleidigte ihn trotzdem. Noch mehr störte ihn, wie sehr ihm Beulahs verbale Angriffe an die Nieren gingen. Ich weiß verdammt gut, was Familie bedeutet! Es war keine Selbstsucht, die mich all die Jahre von IdaBelle Falls ferngehalten hat, sondern ein weit, weit tiefer gehendes Gefühl.
Libby begann zu weinen.
Kit, die ihr am nächsten war, hob sie aus dem Sitz. „Also wirklich, Beulah, da lässt du dich lang und breit darüber aus, dass du eine Expertin in Sachen Familie und Babys bist, und dann erschreckst du die arme Kleine mit deiner lauten Stimme!?“
„Tut mir leid. Aber ich kann es einfach nicht ertragen, dass dieser Fremde mit meinem kleinen Schatz nach Chicago verschwinden will, um sie von Kinderfrauen erziehen zu lassen.“
Frank legte ihr einen Arm um die zitternden Schultern und murmelte: „Es wird alles gut.“
Libby schrie inzwischen wie am Spieß.
Kit trat zu Travis. „Ich mache euch einen Vorschlag.“
Plötzlich wollte er sie beide umarmen, Kit und Libby. Libby war das einzige leibliche Bindeglied zu seiner Schwester. Und Kit als ihre beste Freundin besaß für immer einen besonderen Platz in seinem … Was? Hatte er an sein Herz gedacht? Wenn ja, war es total verrückt. Schließlich kannte er Kit kaum. Dass er sich ihr in diesem Moment so verbunden fühlte, lag nur an Marlenes unverhofftem Tod, ganz gewiss nicht an der gemeinsamen Zeit in jenem heißen Sommer, den er längst aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte.
„Lassen wir doch Libby entscheiden“, schlug Kit vor.
„Das ist ja lächerlich!“, entgegnete Beulah indigniert.
Frank dagegen wirkte interessiert. „Ich finde den Vorschlag gar nicht mal so schlecht.“
„Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“
„Auf der von Libby, ist doch klar. Solange der Richter nicht entschieden hat, ist es nur fair, wenn die Kleine ihren Willen kriegt.“
„Von mir aus. Wenn euch dieses Kräftemessen Spaß macht … Ich gewinne spielend!“ Beulah legte sich Libby an die Brust, hätschelte und tätschelte das Baby, doch es half nichts.
Einige Minuten später verlangte Travis: „Jetzt lass mich mal.“
„Wenn sie sich erst mal so reingesteigert hat, hilft gar nichts.“
„Das wird sich zeigen.“ Mit der sich windenden Libby auf dem Arm ging er auf die verglaste klimatisierte Veranda.
Dort machte er es sich in dem Schaukelstuhl bequem und erinnerte sich mit feuchten Augen an ein spätabendliches Telefongespräch mit Marlene. Sie hatte ihm berichtet, dass Libby, damals zwei Monate alt, zu nächtlichen Heulkrämpfen neigte. Sie ließ sich nur beruhigen, wenn sie im Schaukelstuhl gewiegt wurde und dabei ein bestimmtes Lied hörte, und zwar den Oscar Meyer Wiener Song. Das hatte sich zufällig so durch eine Werbepause im Fernsehen ergeben.
Travis summte also das bekannte Liedchen vor sich hin und strengte sich gewaltig an, seine Nichte zu besänftigen, als hinge sein Leben davon ab. Vielleicht war dem sogar so. Er steigerte sich vollkommen in das Vorhaben hinein, seine Nichte zu sich zu holen, um dadurch irgendwie zu kompensieren, dass seine lustige und eigensinnige, niedliche und zugleich so talentierte Schwester nicht mehr da war.
Nach einer Weile schlief Libby an seiner Brust ein. Ihr kleiner Körper und ihre Wärme spendeten ihm unendlichen Trost. Er
Weitere Kostenlose Bücher