Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
schon immer lieber Selbstgekochtes gegessen als all den fertigen Kram, und sie will pappsatt sein, wenn sie dieses Haus heute Abend verlässt.
»Aber denkt dran, es gibt auch noch Torte.«
Ein Mädchen in Niki-Overall und mit mintgrünem Schleierkopftuch macht den Kühlschrank auf und zeigt auf den Kuchen, und ein anderes Mädchen mit dunklem Stoppelhaar und Piercing seufzt, weil sie schon so satt ist und niemand vorher gesagt hat, dass es noch Torte gibt. Wie soll sie die denn noch in sich hineinstopfen? Einige lachen, aber überhaupt nicht bösartig, die Stimmung am Tisch ist sehr milde und freundlich.
Ob das daran liegt, dass sie alle so verschieden sind? Siebzehn Mädchen mit im Grunde ebenso vielen verschiedenen Stilen, hier gibt es Adidas-Jacken und Nicki-Pullover, Dreadlocks und Vintage, Schleier, Pumps, Piercings und struppig blondiertes Haar in einer bunten Mischung. Und dann ein paar Mädchen, die eigentlich nach nichts Besonderem aussehen, auch die gibt es. Jonna betrachtete alle verstohlen und ist von der Stimmung fasziniert.
Wenn das hier die Mädchen aus ihrer Klasse auf dem Ullvi wären – die sind schließlich auch um die siebzehn, unterscheiden sich aber nicht so stark voneinander – dann gäbe es hier viel mehr verstohlene Blicke und Vergleiche. Obwohl doch da alle denselben Stil haben! Und wenn das hier ein Abendessen mit Jonnas Klasse wäre, dann würden viele kein Wort sagen, obwohl sie sich schon ein halbes Jahr lang jeden Tag gesehen hatten. Hier aber reden alle ungehindert und entspannt, niemand scheint sich an das zu halten, was Alex gesagt hat, nämlich »nicht zu viel zu erzählen«, und niemand ist überheblich oder boshaft.
Nachdem Jonna eine Weile zugehört hat und ein bisschen angekommen ist, als sie den Teller zum zweiten Mal sauber gekratzt hat und sich eine dritte Portion Lasagne aufgetan hat, bekommt sie selbst Lust zu reden.
»Wir haben auf dem Weg hierher was voll Schreckliches gesehen …«
Sie hört ihre eigene Stimme, hat aber plötzlich ein ganz gutes Gefühl dabei. Kein Problem. Und dann erzählt sie, was vor dem Einkaufszentrum geschehen ist, und auch, dass die Begleiter des Verletzten einfach abgehauen sind.
»Es ist ja gut, dass sie überhaupt den Krankenwagen gerufen haben. Die hätten ihn genauso gut im Treppenhaus liegen lassen können. Als sie ihn weggetragen haben, hat er geschrien wie ein abgestochenes Schwein. Die Rettungssanitäter hätten ja auch hingehen und ihn gleich dort auf die Trage heben können.«
Sie erzählt und merkt, wie alle zuhören, gerade so, als wäre es das Natürlichste der Welt, dass sie spricht. Und nicht nur das, es ist auch keines der Mädchen um den Tisch herum schockiert oder stellt komische Fragen. Aber es reagiert auch niemand so wie Alex, so lässig und abgebrüht. Im Gegenteil, die Mädchen hier scheinen zu begreifen, wie schlimm und bedrohlich Jonna die Sache fand, und nun stellen sie Fragen.
»Hast du angefangen zu weinen?« Das Mädchen mit den Stoppelhaaren sieht sie über ihr Wasserglas hinweg an und fährt fort: »Man sieht so viel Scheiße in dieser Stadt. Ich heiße Elina.«
Wow. Jonna freut sich, als sie hört, dass Elina auch Dialekt spricht. Am liebsten würde sie das Mädchen ganz viel fragen. Woher kommst du? Bist du auch abgehauen? Und wo wohnst du jetzt? Doch sie bremst sich im letzten Moment, denn bisher hat noch keine der anderen über etwas Persönliches oder Privates gesprochen, und Jonna hat plötzlich Angst, sich falsch zu verhalten.
Und so verstreicht die Gelegenheit zu fragen. Helena mischt sich ein und sagt, dass es Dinge gibt, an die man sich besser gar nicht erst gewöhnen sollte. Da sei es besser, traurig zu sein oder Angst zu haben und sich hinterher zu bemühen, die Situation zu verändern.
»Wir alle zusammen machen die Gesellschaft zu dem, was sie ist. Ich finde es ganz gesund, auf Schreckliches zu reagieren.«
»Aber was hätten wir denn tun können?«
Helena schüttelt den Kopf über Alex’ Frage. In diesem speziellen Fall wahrscheinlich nichts, aber wenn man Kinder sieht, die ein anderes Kind angreifen, dann kann man eingreifen und so auf lange Sicht vielleicht zu einer Verringerung der Gewalt auf den Straßen beitragen.
»Es ist auch schon viel, nur mit gutem Beispiel voranzugehen und fürsorglich und freundlich zu sein, und das nicht zuletzt auch zu sich selbst.«
Jonna nickt mit vollem Mund. Eigentlich muss sie gar nicht wissen, ob Elina oder eine der anderen hier von zu Hause
Weitere Kostenlose Bücher