Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
wieder.
»Das trifft sich gut, ich wollte dich schon anrufen und fragen, ob du hierherkommst.«
Nicht auch das noch. Jonna verbirgt ihr verheultes Gesicht, dreht ihr den Rücken zu und tut so, als wäre sie mit ihren Schuhen beschäftigt und würde sie weder sehen noch hören.
»Aber das geht ja nicht, denn du hast ja kein Handy.«
Alex redet ungerührt weiter, und die Schnürsenkel sind von dem unfreiwillig langen Morgenspaziergang gefroren, sodass einer sofort abreißt, als Jonna daran zieht.
»Verdammt!«
Sie wirft das Schnürsenkelstück weg, schmeißt den Schuh gleich hinterher, sodass er an die Wand kracht, und zischt: »Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?«
Schweigen. Langes Schweigen. Alex legt den Kopf schief, und Jonna beugt sich vor und kämpft mit dem anderen Schuh.
»Bist du sauer, weil du gestern nicht bei mir übernachten durftest?«
Nein, das ist ihr scheißegal! Sie sieht nicht auf, sondern schüttelt nur wütend den Kopf. Was bildet die sich eigentlich ein, das war doch nur eine einfache Frage, schließlich gibt es viele Orte, an denen man schlafen kann. Sie zieht den anderen Schuh aus, sammelt Schuhe und Tasche ein und geht in den Umkleideraum. Verdammt, sie sieht fertig und verweint aus – dem Spiegel dreht sie nach einem kurzen Blick lieber den Rücken – aber dafür kann Alex nun wirklich nichts.
Die zieht schnell ihre Stiefel aus und kommt ihr nach.
»Für mich wäre es in Ordnung gewesen, aber ich habe das nicht zu bestimmen, sondern Minken.«
Wie eine Klette ist sie und nimmt den Schrank genau neben Jonna, die das Gesicht verzieht. Es ist ihr schließlich egal, und sie weiß auch nicht, wer Minken ist, und vielleicht könnten sie jetzt mal aufhören, darüber zu reden. Schnell zieht Jonna Jacke und Kapuzenpullover aus und pfeffert beides auf einen Haufen im Schrank.
Alex wirft ihr schweigend einen Blick zu, setzt sich auf die Bank und fährt gleichbleibend sanft fort: »Minken wohnt im Wohnheim am Mariatorget, und man wird rausgeschmissen, wenn man da Leute übernachten lässt, in jedem Zimmer darf nur eine Person wohnen.«
Oje. Jonna schüttelt den Kopf. Wovon redet sie? Mariatorget und Minken, was hat das mit Farsta zu tun? Oder redet sie von etwas anderem? Jonna zieht jetzt die fleckigen Jeans und ihre säuerlich riechenden, ekligen Strümpfe aus.
»Aber wenn du willst, kann ich dir helfen, jemanden zu finden, bei dem du wohnen kannst.«
Könnte sie jetzt nicht endlich abhauen? Jonna verzieht wieder das Gesicht. Weiß Alex denn nicht, wie verdammt unmöglich das alles ist? Jonna hat es ja noch nicht einmal geschafft, einen Job zu finden, wie sollte sie dann ein Zuhause finden? Sie holt tief Luft und unternimmt einen erneuten Versuch, das Thema abzuschließen: »Alex, ich habe nicht deshalb …«
»Ach, nicht? Aber weshalb dann?«
Das zu diskutieren hat sie jetzt noch weniger Lust. Sie stößt einen wütenden Seufzer aus, reißt sich die eklige Unterwäsche herunter und wickelt sich schnell das Handtuch um. Aber igitt, heute hat sie eines erwischt, das nass ist und unangenehm riecht. Also knüllt sie es in der einen Hand zusammen und knallt den Schrank mit einem festen Stoß zu.
»Ich sehe dir doch an, dass du …«
»Lass mich in Ruhe!«
Dann stehen sie nebeneinander unter der Dusche. Verdammte Klette. Jonna kocht innerlich, sie dreht sich zur Wand. So früh am Morgen ist kaum jemand hier, Alex hätte also jede andere Dusche nehmen können, aber sie muss natürlich unter der stehen, die direkt neben Jonnas ist. Und sie redet die ganze Zeit weiter, als ob nichts wäre.
»Als ich das erste Mal von einer Pflegefamilie abgehauen bin, da war ich vierzehn. Mama und meine Geschwister haben nicht in Stockholm gewohnt, ich dachte, das täten sie, aber als ich hierherkam, stellte sich heraus, dass ich hier ganz allein war. Und ich hatte so ungefähr zehn Kronen.«
Jonna geht zur Toilette und holt sich Seife aus dem Seifenspender. Auf dem Rückweg unter die Dusche wirft sie Alex einen wütenden Blick zu. Warum erzählt sie das? Was will sie?
Sie massiert sich die Seife in die Haare ein, und Alex redet weiter: »Aber dann habe ich Niki getroffen, weißt du, die gestern auch mit im Einkaufszentrum war. Wir haben uns auf einem Landjugendhof in Aspudden kennengelernt. Sie war selbst mehrfach in Pflegefamilien, obwohl sie erst vierzehn war. Und sie hat den absoluten Durchblick, wo man schlafen kann, welche U-Bahn-Stationen o.k. sind, und welche Läden Container haben,
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