Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
stand da und erzählte, obwohl Jonna und er eigentlich bisher nie miteinander geredet hatten und obwohl sein Vater schon zum Einkaufen in den Laden gegangen war. Schließlich fügte Josef Sjögren hinzu, seine Mutter habe gesagt, dass das zu erwarten gewesen sei, bei so einer Kindheit.
So eine Kindheit? Jonna klaute daraufhin Geld aus der Dose in der Küche und kaufte am folgenden Tag die Zeitung. Darin fand sie einen großen Artikel und ein Schwarz-Weiß-Foto, auf dem die Fußgängerbrücke über die E18 bei Köping zu sehen war, und ein kleineres Foto von Ange lika Andersson, das aus dem Schulalbum vom Jahr zuvor stammte.
Und was war das für eine Kindheit? Eine Nachbarin wurde interviewt. Sie berichtete von Geldproblemen, Alkohol, einem abwesenden Vater und Ermittlungen des Jugendamtes, die dann aber eingestellt worden waren. Außerdem sagte sie, Angelika Andersson habe immer erst auf dem Geländer am Laubengang gesessen und gewartet, bis zu Hause Ruhe eingekehrt war und sie sich sicher fühlen konnte, wenn sie hineinging. Jonna schauderte es, als sie das las. Das hätte man genauso gut von ihr sagen können! Und auf welchem Geländer hatte Angelika Andersson wohl gesessen? Es gab schließlich nur eine Gegend in Kolsva mit Laubengängen, wo man auf dem Geländer sitzen und die Haustür im Blick haben konnte.
»Juchuu!«
Ha, wenn die Mutter von Josef Sjögren sie jetzt sehen könnte.
Sie rannten wie verrückt von der Brücke weg durch den Park, dann durch die Innenhöfe in einem Wohngebiet – das war Minkens Idee – und krochen schließlich schnell durch ein Loch im Zaun bei einem riesigen, erleuchteten Hockeyfeld. Ohne aufgehalten zu werden und ohne einem einzigen Menschen zu begegnen.
»Wir haben es geschafft!«
Jonna ist übel, sie ist außer Atem und schweißnass, aber sie jubelt und schreit vor Freude, es überrollt sie wie ein Tsunami, und wenn sie nicht schreien kann, dann platzt sie. In einer triumphierenden Geste erhebt sie ihre Flaschen zu den hohen Scheinwerfern und wirft sich auf dem Eis auf die Knie.
»Ich bin die BESTE!«
Trotz so einer Kindheit. Wenn Josef Sjögrens Mutter und die anderen Idioten sie jetzt sehen würden, das würde ihnen ihre Mäuler schon stopfen. Die haben doch alle gedacht, dass Jonna Öberg denselben Weg nehmen würde wie Angelika Andersson, wenn die wüssten, dass sie jetzt gerade hier ist. Im fucking-verdammten Stockholm! Mit zwei Flaschen Gratisschnaps und zusammen mit einer Freundin. Sie hat es durch das Nadelöhr geschafft, sie ist davongekommen – und das war gut so.
»Johuu! Was für ein Ding!«
Sie schliddert und rutscht ein paar Meter auf den Knien auf das Eis hinaus. Dann steht sie auf und wiederholt die Rutschpartie, und der Schnee sprüht durch die Löcher in ihren Jeans, aber das ist nur schön, denn sie ist so erhitzt und verschwitzt, da kühlt das bloß.
Sie schliddert noch einmal, rappelt sich auf und rutscht erneut, dabei beugt sie sich so weit nach hinten, wie sie kann, und schreit noch lauter, sie kann einfach nicht aufhören. Diesen Augenblick wird sie NIEMALS vergessen, das weiß sie.
»Alex!«
Sie dreht sich um und ruft nach ihrer Freundin, die immer noch an der Balustrade steht. »Komm doch hierher! Komm, und sieh dir das an!«
Um sie herum ist alles wie in einem Wintermärchen, und Jonna streckt die Arme aus, um es Alex zu zeigen. Es schneit jetzt stark, und die Flocken, die in den weißen Lichtkegeln der Scheinwerfer heruntersegeln, werden zu magischem Silberglitter.
»Sieh nur, Alex!«
Die Schneeflocken glitzern und tanzen über Jonnas Haaren und ihrem Gesicht, und sie macht den Mund auf und streckt die Hände all dem Weißen, Schönen entgegen. Ihr Atem steht wie eine Wolke um sie, und alles ist nur weiß, weiß, weiß. Sie sperrt den Mund auf und lässt die Flocken geradewegs hineinfallen.
»Warte!« Endlich kommt Alex nach, sie versucht auch auf den Knien zu rutschen, hat aber nicht denselben Schwung. Sie schliddert, wirft Jonna einen Blick zu und fragt: »Hast du so einen Schiss gehabt? Ist es deshalb?«
»Was? Nee.«
Jonna schüttelt den Kopf, legt sich lang auf den Rücken und starrt in den herabfallenden Glitter. Das ist so herrlich, sie fühlt sich so aufgekratzt, so leicht und frei, und Alex lacht.
»Naja, ich finde auch, dass das Gefühl hinterher schön ist.«
Jonna macht sich nicht die Mühe, etwas zu erklären, sie nickt nur und streckt Arme und Beine gerade aus. Es hat genug geschneit, dass man richtig schöne
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