Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
aufzugeben? Wenn sie an Alex denkt und danach an ihr Zimmer in Kolsva, dann erinnert sie sich vor allem daran, wie wahnsinnig einsam sie sich dort immer gefühlt hat.
Vielleicht reicht es ja, wenn sie nur einfach woanders schläft?
Am Morgen entdeckt sie, dass in einem der Trockner in der Waschküche noch Kleidungsstücke liegen. Sie klaut sich einen grau melierten Kapuzenpullover und zwei Paar Stoppersocken, die sie übereinander anzieht. Dann läuft sie in Strümpfen vom Wohnheim zur U-Bahn-Station Mariatorget. Natürlich ist das kalt, aber es sind nicht mehr als fünfzig Meter. Und die U-Bahn-Station ist schon geöffnet, es ist halb acht, und die Züge kommen in kurzen Abständen.
Sie fährt eine Station, wechselt zur grünen Linie nach Süden und achtet gar nicht auf all die Leute auf dem Bahnsteig, die auf ihre Stoppersocken starren. Dann fährt sie noch einmal zwei Stationen, und von der U-Bahn-Haltestelle Skanstull zum Eriksdals-Bad sind es nun vielleicht noch siebzig Meter zu laufen, das weiß sie von gestern. Dann hüpft sie über die Schranke, als wäre es das Natürlichste der Welt.
Dieses Arschloch von Victor wird sie nicht fertigmachen, nicht jetzt, wo endlich mal Bewegung in alles kommt. Sie duscht, wäscht Körper und Haare gründlich mit Seife aus dem Automaten auf der Toilette, und versucht sich zu be ruhigen. Dann trocknet sie ihre Haare in der Sauna und zwingt sich selbst dazu, all das Gute aufzuzählen, was ihr in den letzten Tagen widerfahren ist. Dass sie Alex getrof-
fen hat, dass sie heute Morgen ganz locker hierhergefunden hat, dass Stockholm langsam auch zu ihrer Stadt wird.
Im Verlauf des Vormittags geht es ihr wieder besser. Sie hat zwar wahnsinnig Hunger, aber ihre Laune hat sich entschieden verbessert. Sie schleicht sich aus dem Bad und kichert wie irre über das, was sie gerade gemacht hat: Sie hat sich selbst ausgestattet. An den Füßen trägt sie jetzt ein Paar schwarze halbhohe Stiefel, die zwar ganz und gar nicht ihr Stil sind, dafür aber trocken und schön, und dazu hat sie sich eine dicke, schwarze Daunenjacke mit Pelzbesatz an der Kapuze organisiert.
Jetzt fehlt ihr nur noch fatzglattes Haar, dann könnte man sie für eine echte Stockholmerin halten. Haha, sie versucht zu lachen und sich einzureden, dass sie die Sache ja nur in einer Notlage ausgeliehen hat. Die Schuhe standen vor der Tür zur Mädchenumkleide, und die Jacke hing an einem der Haken gegenüber dem Café. Sie hat also nichts aus einem Schrank geklaut, das wäre ja viel schlimmer.
Sie marschiert den langen Hügel zum Skanstull hinauf und fühlt sich gut gekleidet, besser denn je, sollte sie das nicht einfach genießen? Sie schüttelt die Schuldgefühle ab und sieht sich um. Die Sonne scheint vom strahlend blauen Himmel, und die Läden haben soeben geöffnet. Die Stimmung der Leute auf der Götgatan ist gelöst, und sie lässt sich davon anstecken. Sie fühlt sich frisch und leicht, was wirklich erstaunlich ist, wenn man bedenkt, wie viel sie gestern getrunken hat, aber es ist so. Zwar muss sie hin und wieder aufstoßen und hat dann einen schwachen Metallgeschmack im Mund, aber das ist auch schon alles.
»Die Bahn zahlt keine Erstattung im Weihnachtsverkehr.« Die Aushänger vor dem Kiosk. »Große oder kleine Geschenke – das wünschen sich die Schweden dieses Jahr.« Und auf einem dritten: »Die letzte Gelegenheit in Wärme und Erholung zu fliegen.«
Und schon ist die gute Stimmung dahin. Jonna bleibt stehen und starrt auf die Buchstaben, sie versucht zu zählen, anstatt an Mallorca zu denken, aber genau da liegt Mama jetzt, warm und verliebt an einem Pool, mit Claes und einem Gin Tonic, anstatt mit ihrem Kind zusammen zu sein. Sie flieht und begreift überhaupt nicht, was sie verpasst.
Jonna hingegen wird alles tun, um nicht in Mamas Fahrwasser zu geraten. Wird nicht so früh ein Kind bekommen und mit Großmutter und nie ausgelebten Teenagerträumen in Kolsva stranden. All die Jahre hat Mama in ein und demselben Pflegeheim gearbeitet, sich mit Sozialhilfe durchgeschlagen und barbie-rosa Träume von Glamour und Freiheit geträumt, denen sie doch nie näher gekommen ist als durch diese Einladung von Claes, zu einer Charterreise nach Mallorca. Die Schickeria ist auch nicht mehr das, was sie mal war.
Und Papa schien doch eigentlich ganz süß zu sein.
Er war ebenfalls siebzehn, also auch zu jung, und hat nichts von seinem Kind mitgekriegt, aber wenigstens scheint er etwas aus seinem Leben gemacht zu
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