Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
kann.
War es die, die Angelika Andersson ähnlich sieht? Oder jemand, den Jonna kennt? Aber eigentlich kennt sie hier doch gar niemanden. Verwirrt bleibt sie so lange stehen, bis die Tür mit einem dumpfen Krach zuschlägt. Ein warmer, muffiger Windstoß schlägt ihr entgegen, es riecht nach Müll, als ob dort drinnen ein Müllschlucker stünde, aber das wäre doch komisch. Oder hat das Mädchen dort Müll weggeworfen, während Jonna draußen geredet hat? So lange? Nein, es muss da drinnen etwas anderes geben. Jonna drückt die Klinke, aber die Tür ist verschlossen.
»Kauft Weihnachtsbäume! Nur noch ein Tag bis Weihnachten, liebe Leute, vergesst das nicht!«
Sie ist die Götgatan hinuntergegangen und zu einem kleinen Platz gekommen, wo auf Holzböcken Unmengen von Weihnachtsbäumen liegen. Jonna atmet den Duft tief durch die Nase und bleibt stehen. Die Sonne scheint zwischen den Häusern hindurch, und der Geruch von Tannennadeln ist vertraut und angenehm.
»Zweihundertfünfundsiebzig Kronen, zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten – es ist Weihnachten!«
Sie stellt sich in die Sonne und beobachtet einen Verkäufer, der die Pelzmütze in den Nacken schiebt und die dicken Handschuhe auszieht. Er muss einen Tannenbaum durch eine Art Netzmaschine schieben. Sie tritt einen Schritt näher.
»Darf ich mal probieren?«
Der Apparat sieht wie ein Betonmischer aus, aber man muss von Hand drehen, und wenn der Baum auf der anderen Seite herauskommt, ist er mit einem weißen Netz umwickelt. Ja, sie darf es mal probieren, sie darf drehen, während einer der beiden Männer den Tannenbaum hineinschiebt.
»Na, Mädel, du hast ja ein Händchen dafür!«
Die Arbeit macht ihr gute Laune. Die Verkäufer scherzen mit allen Leuten, die Bäume kaufen, und Jonna ist eine große Hilfe. Sie schiebt die Tannenbaumspitzen in den Apparat, während die Typen kurbeln, und sie fühlt sich wichtig, wenn Kunden kommen und nach Preis und Qualität fragen. Ha – das hier ist doch wie ein richtiger Job!
»An so einem Tag verdient man ganz gut, oder?«
Ein Mann mit rotem Schnurrbart sammelt die Kronenscheine ein und schiebt sie in seine dicke Ledertasche, die er auf dem Bauch herumträgt.
»Glaub bloß nicht, dass du was kriegst.«
Er wirft ihr einen derart bösen Blick zu, dass Jonna schnell mit dem Kopf schüttelt. Nein, nein.
»Verschwinde. Wir brauchen dich hier nicht, und tschüss!«
Was? Wird sie vertrieben, nur weil sie gefragt hat, was die hier verdienen? Steht der Kerl einfach da mit seinem fetten Geldbauch und scheucht sie weg, nach all dem, was sie getan hat? Da wird sie jetzt aber auch mal sauer!
»Einen Hunderter kannst du mir schon geben! Schließlich hab ich geschuftet.«
»Einen Hunderter? Hundert Kronen für zehn Minuten?«
Also echt, sie hat doch länger als nur zehn Minuten gearbeitet! Sie widerspricht ihm, und da macht er ein Theater, als ob sie ihn um einen Tausender gebeten hätte. Verdammt, schließlich hat sie Hunger! Aber jetzt sehen die anderen auch sauer aus, also dreht Jonna sich um und will gehen.
Geizkragen.
»Ach, ich will mal kein Unmensch sein. Hier hast du was für deinen Einsatz.« Offenbar bereut der Alte seine Härte plötzlich und wirft ihr einen Schein hinterher.
*
Zwanzig Kronen. Ein mickriger Zwanziger, was kann man damit kaufen? Ein Paket Nudeln mit Ketchup vielleicht, aber wo sollte sie die kochen? Sie irrt mit ihrem Zwanziger in der Kälte herum, inzwischen plagt sie der Hunger arg, und sie sieht nur noch Cafés mit einladenden Angeboten an Sandwiches und Kuchen, Würstchenstände und Hamburgerketten und Restaurants mit fantastischen Menüs auf großen Schiefertafeln. Lange steht sie vor einem Stand mit gerösteten Mandeln, das riecht so wahnsinnig gut. Aber fünfunddreißig Kronen für eine winzige Tüte, das hat sie einfach nicht. Nicht einmal mit einem ekligen heißen Würstchen könnte sie für zwanzig Kronen ihren Hunger stillen.
Sie irrt weiter umher und entdeckt plötzlich, dass sie in der Fatburs Brunnsgata gelandet ist und nun genau vor dem Enter steht.
»Hallo, wie heißt du?«
Heute arbeiten hier andere Leute. Sie wird von einer Sandra eingelassen, die erklärt, dass sie noch nicht geöffnet haben, sie aber trotzdem reinkommen kann. Braucht sie etwas Bestimmtes? Jonna schüttelt den Kopf, sagt ihren Namen und dass sie gedacht habe, hier gäbe es vielleicht auch Mittagessen, denn sie sei so hungrig.
»Ah, du bist also Jonna.«
Sandra nickt und geht vor ihr her in die Küche.
Weitere Kostenlose Bücher