Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Müllschlucker zu gehen, huscht Elina um die Ecke des Kiosks.
Jonna bleibt davor stehen und vertreibt sich die Wartezeit damit, die Buchstaben auf den Aushängern des Tages zu zählen. »Siebzehn Tote im Weihnachtsverkehr.« Einunddreißig Buchstaben. »Keine Panik! Das Umtauschrecht ist gesetzlich.« Neununddreißig Buchstaben. Und »Arne Weise: ›Ich hasse Weihnachten‹.« Sechsundzwanzig, siebenund zwanzig, achtundzwanzig.
Diesmal ist es ihr ausnahmsweise egal, dass auf keinem der Aushänger ihr Gesicht zu sehen ist. Sie hat sich daran gewöhnt. Hat es akzeptiert. Oder hat sie einfach begriffen, was das Beste für sie ist? Wenn man von rachelüsternen Typen verfolgt wird, möchte man sein Konterfei nicht unbedingt auf Aushängern prangen sehen.
Später sitzen sie auf Elinas Matratze und schwelgen in frischem Safrankuchen, Vanillekrapfen und Zimtschnecken. Elina erzählt, dass die Kioske, ebenso wie die 7-Eleven- Geschäfte, übriggebliebenes Gebäck oft mehrmals täglich wegwerfen, um dann neu zu backen. Die Kunden sollen das Gefühl haben, das Backwerk fände reißenden Absatz, und außerdem soll es in den Läden immer nach frisch Gebackenem riechen.
Was weggeworfen wird, landet in Containern im Hof, dabei ist das Gebäck vollkommen in Ordnung, schließlich ist es tagesfrisch, nur schon abgekühlt.
»Wenn Papa in Norwegen ist, esse ich nichts anderes.«
»Ehrlich?«
Nach sechs Zimtschnecken hat Jonna genug. Ihr Mund fühlt sich teigig an und im Magen hat sie einen schweren Klumpen. Natürlich war das jetzt gut, und hat satt gemacht – aber jeden Tag? Und nichts anderes? Isst Elina denn niemals eine warme Mahlzeit?
»Doch, manchmal im Enter. Die sind nett da, nicht wahr?«
Ja, schon. Jonna nickt schweigend. Elina ist wirklich wie eine kleine, lustige Schwester. Jonna legt ihre halb gegessene Zimtschnecke weg, jetzt kann sie nicht mehr. Ihre Zähne fühlen sich von dem ganzen süßen Zeug widerlich pappig an, und die Zunge klebt ihr am Gaumen. Sie sieht sich in der kleinen Abstellkammer um.
»Gibt es hier irgendwo Wasser?«
Nein, gibt es nicht, das erkennt sie selbst. Also steht sie auf, steigt über den Haufen Spielzeugschachteln am Fußende der Matratze, öffnet die Tür und späht in den Müllraum. Da ist aber auch kein Wasserhahn.
»Man muss zum Pissoir an der Ecke zur Dalslandsgatan gehen. Nimm die hier mit.«
Elina gibt ihr eine alte PET-Flasche mit, die sie füllen soll, aber Jonna verzieht das Gesicht. Igitt, Wasser aus einem Pissoir in der Stadt trinken? Aber da lacht Elina nur ihr perlendes Lachen und sagt, dass es schließlich ganz gewöhnliches Wasser ist, mein Gott, sie soll sich nicht so anstellen!
Tja, was bleibt ihr anderes übrig? Jonna seufzt, zieht die Stiefel an und macht sich auf den Weg.
»Was verdienst du denn pro Schachtel?«
Einige Zeit später stehen sie im Treppenhaus des Hauses, in dem Elina wohnt, allerdings eine Etage über ihrer Wohnung. Sie haben einige der Kartons bei sich und klingeln zum wiederholten Mal an einer Tür, die mit einem Kranz aus Wacholderreisig und silberfarbenen Tannenzapfen geschmückt ist. »Frohes Fest« steht auf einer roten Seidenrosette, an der Jonna zerstreut zupft, während sie warten. Elina zischt ihr zu, dass sie das bleiben lassen soll, sie wirkt angespannt, denn hier wohnt ihre Lehrerin aus der Mittelstufe. Die hat die Bestellungen aufgegeben, die jetzt geliefert werden.
»Nicht, dass das kaputt geht. Maggan war die Erste hier in Stockholm, die nett zu mir war, und sie ist es immer noch.«
»Was kriegst du denn so für eine Schachtel?«
»Kommt darauf an, was sie selbst kriegt. Manchmal fünfzig, manchmal hundert Kronen.«
Elina zieht die Augenbrauen hoch, als würde sie das für sehr viel Geld halten, doch Jonna nickt nur zögernd. Sollte sie nicht mehr kriegen? Die meisten Schachteln, die sie heute haben mitgehen lassen, lagen ja für ungefähr dreihundert in den Läden.
»Was ist mit Maggan, für wie viel verkauft die sie dann?«
»Das weiß ich nicht. Sie stellt sie bei eBay rein, und die Leute, die sie ersteigern, bezahlen unterschiedlich viel.«
Elina schüttelt unbekümmert den Kopf und drückt noch einmal auf die Klingel.
»Egal, jedenfalls kriege ich für nur zehn Schachteln mindestens fünfhundert! Würdest du das nicht auch wollen? Schließlich ist das tierisch viel Geld!«
Doch, natürlich. Jonna nickt. Aber zehn Schachteln machen ja auch ganz schön viel Arbeit, das steckt ihr nach dem heutigen Tag in den Knochen.
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