Hohe Wasser
gepackt worden waren, mit Kleidern, die niemand brauchte, und unnötigen Dingen. Sie hatte ähnliche Gedanken.
– Es sind auch deine Handtücher und deine Bücher in der Tasche.
– Ich habe gesagt, lass die Bücher und Handtücher im Zimmer. Du siehst doch, dass kein Badewetter ist.
– Irisches Badewetter ist nicht anders.
– Du willst also baden? Bitte sehr. Hinein ins Wasser mit dir. Ich warte im nächsten Pub auf dich. Zieh dich warm an beim Schwimmen. Genug eingepackt hast du ja.
– Ich streite nicht mit dir. Nicht über das Badewetter und nicht über den Inhalt meiner Tasche. Warum, denkst du, habe ich den Fotoapparat mitgenommen? Wegen der Kinder. Damit wir ihnen zeigen können, was wir erlebt haben, damit auch sie sehen, was wir gesehen haben. An die Kinder denkst du nie!
– Das würdest du auch noch gerne. In meinem Hirn herumwühlen mit deinen Händen und nachschauen, woran ich denke und woran nicht. Alles kontrollieren willst du, alles musst du begrapschen und betatschen. Ich sage dir, woran ich denke. Seit wir hier sind, habe ich es bereits tausendmal bereut, dass ich dir nachgegeben habe. Du mit deinen Schnapsideen. Ist das der Boden, auf dem sich unser Verhältnis erneuern soll?
Es kam keine Antwort mehr. Sie hatte ihren Gang beschleunigt, als seine Stimme lauter geworden war, und hastete jetzt ein gutes Stück vor ihm dem Fährhafen zu. Er hätte schreien müssen, wenn er ihr noch etwas mitzuteilen gehabt hätte. Er war froh, dass sie nicht mehr neben ihm ging, und wollte sie nicht durch laute Zurufe stoppen.
Warum ließ er sich provozieren? Es war nicht so, dass er sie hasste. Noch nicht. Manchmal dachte er, hoffentlich geht sie mit den Kindern anders um. Er war in letzter Zeit oft sehr spät heimgekommen. Als Hoffnungsträger musste er mehr arbeiten als andere. Meist schliefen die Kinder schon und am Morgen blieb nur wenig Zeit. Was ist los in der Schule? Wie viel ist neunundvierzig dividiert durch sieben? Was macht ihr heute? Du hilfst der Mama im Garten mit dem Bagger? Am Wochenende spürte er, dass sie streng war mit den Kindern. Bei jedem Griff in die Lade mit den Süßigkeiten musste um Erlaubnis gefragt werden, das Essen war eine Aneinanderreihung von Ermahnungen und Drohungen, und trotzdem fiel das Wasserglas um oder ein Stuhl kippte. Die Ordnung im Kinderzimmer war ein Problem, das für die Frau zum Zweitagesgespräch ausarten konnte. Er war verblüfft, welche Veränderung mit ihr vor sich gegangen war. Plötzlich stand eine Fremde in seiner Küche, plötzlich lag eine Fremde in seinem Bett.
Sie hatte ihr Tempo nicht durchgehalten. Beim Pier, der mit seinem Leuchtturm an der Spitze weit ins Meer hinausgriff, holte er sie ein. Vom Horizont steuerte eine weiße Fähre den Hafen an. Das Bassdröhnen der Schiffsdiesel war vorausgeeilt und lag bereits in der Luft. Sie gingen den Pier entlang Richtung Leuchtturm und sahen zu, wie sich die Fähre heranschob, bis sie die Hafeneinfahrt ausfüllte und von den verglasten Veranden und der Strandpromenade auf der gegenüberliegenden Seite nichts mehr zu sehen war.
– Das ist ein Fotomotiv, sagte er.
Sie knipste die Fähre als weiße Wand in der Hafeneinfahrt, die Fähre mit ihm im Vordergrund, dann stellte sie auf Selbstauslöser, legte den Fotoapparat auf die Hafenmauer, drückte ab, lief zu ihm, lächelte, lehnte sich an ihn und hielt still, bis es klickte.
Mit der DART-Bahn fuhren sie weiter, die Dubliner Bucht entlang nach Howth. Der Wind schob die dunklen Wolken nach Süden und trieb vom Norden Nachschub heran. Die Farbe des Wassers wechselte von türkis über bleifarben zu graugrün. Fußfischer stocherten im Schlick. Vom Fenster des Waggons aus sah er in die Hinterhöfe der Stadt. Backsteinhäuser standen die Schienen entlang aneinander gereiht. In den Gärten Gerümpel und ausrangierte Sitzgarnituren. Schlaffe Wäscheleinen vor schiefen Schiebefenstern. Mit Pappe abgedichtete Fensterscheiben. Ausgebrannte Stockwerke. Beim nächsten Straßenzug schlagartig ein anderes Bild. Rosenstöcke. Pools. Samtige Rasen. Veranden, Terrassen, Wintergärten.
In Howth hatte sich schwarzes Gewölk am Himmel aufgetürmt. Schmucke Häuser drängten sich den Hang der Halbinsel hinauf, die ihren bulligen Kopf dem Meer entgegenhielt. Ein kleiner Fischereihafen, ein breiter Pier, auf der Seeseite gegen die Brandung mit einem Wall riesiger Granitbrocken geschützt. Vor der Küste Irelands Eye, eine steingraue Insel in der jetzt stahlgrauen See. Das
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