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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Abgrund
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Welt, im Gegensatz zu dem, was ihnen gerade widerfuhr?
»Ich habe dich gesucht«, flüsterte Maria Andrej zärtlich ins Ohr. »Vom ersten Moment an, als ich dich sah, wußte ich, daß ich dich haben wollte. Ich weiß ja, es ist nicht schicklich, daß ich dir das sage, aber …«
Weiter kam sie nicht. Andrej verschloß ihre Lippen mit einem Kuß und flüsterte ihr zu: »Mir geht es genauso. Irgend etwas ist mit uns geschehen … Mir ist, als hättest du mich verzaubert.«
Das Geräusch leiser Schritte war zu vernehmen, und ein siedendheißer Schrecken durchfuhr ihn. Plötzlich wurde er sich wieder bewußt, wo er sich befand. Mit einem entsetzten Ruck stieß er Maria zurück und sprang auf; seine Hand fuhr wie von selbst zum Griff seines Schwertes, und er war auf alles gefaßt: Auf einen Hinterhalt, in den ihn Maria gelockt hatte, auf eine Patrouille der Stadtwache, die durch ihre lustvollen Laute auf sie aufmerksam geworden war, oder auf ein paar grobe Kerle, die zufällig vorbeigekommen waren und sich das Schauspiel zweier Liebender nicht entgehen lassen wollten, die alles um sich herum vergessen hatten.
Es war nichts von alledem.
»Frederic«, stöhnte Andrej gleichermaßen überrascht wie entsetzt, während seine Augen wachsam die Umgebung absuchten nach einem Hinweis, daß der Junge nicht allein wie ein Spukgespenst in der Nacht aufgetaucht war. »Was, um Gottes Willen, machst du denn hier?«
»Ich hatte … ein Geräusch gehört«, stammelte Frederic.
»Hat dich jemand verfolgt?« fragte Andrej scharf.
»Nein.« Der Junge schüttelte unglücklich den Kopf. »Ich glaube nicht.«
»Hat dich jemand aus unserem Versteck vertrieben?«
Wieder schüttelte der Junge den Kopf. »Ich hatte nur … Angst.«
Andrej atmete tief ein. Am liebsten hätte er diesen mißratenen Delãny an den Ohren gepackt und sie ihm mit einem kräftigen Ruck vom Kopf gerissen. »Warte dort, im Schatten des Hauses, an der Ecke auf mich«, herrschte er ihn an. »Ich komme gleich nach. Und wehe, du tust dieses eine Mal nicht das, was ich von dir verlange!«
Frederic brachte keinen Ton mehr hervor; offenbar hatte er begriffen, daß er zu weit gegangen war. Mit einem stummen Nicken gab er Andrej zu verstehen, daß er ihn verstanden hatte und tun würde, was von ihm verlangt worden war, wandte sich um und rannte mit schnellen, aber leisen Schritten davon.
Delãny drehte sich wieder zum Brunnen, um Maria die Situation so gut wie möglich zu erklären. Doch dort, wo sie sich gerade noch aneinandergeklammert hatten, lag jetzt nur noch der Leinenbeutel und sein umgekippter Wasserkrug: Sie selbst war verschwunden.
»Verflucht«, murmelte Andrej. Seine Gefühle waren ein einziges Durcheinander. Die sinnesverwirrende Erregung, die ihn noch gerade gepackt gehalten hatte, war einem Gefühl von Verlust und Sehnsucht gewichen. Gerade hatte er ihren lockenden Körper noch unter seinen Händen gespürt, und nun würde er sie vielleicht nie mehr wiedersehen. Zudem war er sich nicht darüber im klaren, wieviel sie noch von dem Gespräch mit Frederic mitbekommen hatte. Wenn er an ihrer Stelle gewesen wäre, würde er sich jetzt eine Menge Fragen stellen beispielsweise, von welchem Versteck Andrej gesprochen hatte und warum er Angst hatte, daß sein Neffe verfolgt worden sein konnte.
Vielleicht war sie nach Frederics überraschendem Auftauchen aber auch so schnell und erschrocken verschwunden, daß ihr der Sinn von Andrejs schroffen Worten entgangen war. Er konnte es nur hoffen. Andernfalls konnte ihm die junge Frau, die ihn so nachhaltig verwirrt hatte, durchaus gefährlich werden. Ein kleiner Hinweis, den sie ihrem Bruder gab und der das Mißtrauen dieser gewiß hochgestellten Persönlichkeit erregte, mochte schon ausreichen, um eine Hetzjagd auf sie zu veranstalten - sei es, weil man ihn für den Brandstifter hielt oder für einen Auskundschafter der Türken.

10
    Andrej konnte lange nicht einschlafen. Immer wieder war er in Gedanken bei Maria, er konnte förmlich den Geruch ihrer Haut riechen und auf dem Rücken überlief ihn ein wohliges Schaudern, bei der Vorstellung, ihre Hände würden ihn streicheln und ihre Fingernägel würden sich sanft in seine Haut graben. Aber da waren auch andere Bilder, die sich dazwischenschoben. Bilder von Leid und Gewalt, von dem brennenden Wirtshaus, in dem sechs unschuldige Menschen den Tod gefunden hatten - nur weil die goldenen Ritter ihn hatten töten wollen. Beide Erinnerungen schoben sich ineinander, so als würden sie

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