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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Abgrund
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wahrheitsgemäß. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Vielleicht hat er es ja gar nicht gewußt.«
Der Herzog schüttelte nachdenklich den Kopf. »Daran habe ich auch schon gedacht, aber die Papiere des Inquisitors sind in Ordnung. Mehr als das. Ich kann es nicht beweisen, aber es hat den Anschein, als wären Domenicus und seine unheimlichen Begleiter im direkten Auftrag des Vatikans hier. Und daß sie nicht längst abgereist waren, ehe Ihr hier eintraft, spricht dafür, daß sie auf Euch gewartet haben. Ein etwas übertriebener Aufwand, um einen einzelnen Mann und einen Jungen umzubringen, meint Ihr nicht auch, Delãny?«
»Diese Arbeit werdet Ihr ihnen ja nun abnehmen, nicht wahr?« fragte Andrej. Seine Ketten klirrten leise. »Aber warum sollte ich Euch helfen, selbst wenn ich es könnte? Ich habe keine Angst vor dem Tod. Und Schmerz vergeht.«
»Und wenn ich Euch mein Wort gebe, den Jungen am Leben zu lassen?«
»Frederic?« Es gelang Andrej nicht ganz, das Entsetzen in seiner Stimme zu verbergen. »Ihr habt ihn?«
»Was habt Ihr erwartet?« fragte Demagyar in einem Ton ehrlicher Verblüffung. »Ihn und auch diese beiden Narren, die geglaubt haben, mich berauben zu können. Sagt mir, warum der Inquisitor wirklich nach Transsilvanien gekommen ist, und der Junge bleibt am Leben.«
»Er hat Domenicus getötet«, erinnerte Andrej den Herzog.
»Und?« Demagyar machte eine wegwerfende Geste mit der freien Hand. »Er hat mir damit einen Dienst erwiesen. Also? Was ist das große Geheimnis des Borsã-Tals?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Andrej wahrheitsgemäß.
Demagyars Gesicht verfinsterte sich. »Dann tut es mir leid. In diesem Fall kann ich nichts mehr für Euch tun.«
Er starrte Andrej noch einen Moment lang an und machte keinen Hehl daraus, daß er fast verzweifelt darauf wartete, daß Andrej es sich doch noch überlegen und antworteten würde; und ebensowenig verhehlte er seine Enttäuschung, als das nicht geschah. Schließlich drehte er sich mit einem angedeuteten Achselzucken zur Tür und verließ ohne ein weiteres Wort die Zelle.
Andrej blieb allein in der Dunkelheit zurück. Vielleicht hatte er gerade seinen letzten Fehler begangen.

15
    Kurze Zeit darauf erschienen vier Männer in Andrejs Zelle, die ihn von den Ketten befreiten und ihm Wasser und saubere Kleider brachten, so daß er sich waschen und umziehen konnte. Die Soldaten hatten ständig die Hände griffbereit auf dem Schwertknauf, und Andrej konnte hören, daß auf dem Gang noch weitere Männer warteten. Ein Fluchtversuch wäre zum jetzigen Zeitpunkt nicht nur vollkommen aussichtslos gewesen, sondern zudem äußerst dumm. Er mußte abwarten, bis sich eine Gelegenheit ergab, die seine Bewacher ablenkte und ihm einen Vorteil verschaffte. Vielleicht würde sie nie kommen … vielleicht war sie aber auch nur Minuten entfernt. Es galt einfach, die Nerven zu behalten und den richtigen Moment abzuwarten. Andrej hatte nicht vor, sich widerstandslos abschlachten zu lassen - weder schnell noch langsam.
    Als er erneut in Ketten gelegt und aus der Zelle geführt wurde, ließ er alles bereitwillig mit sich geschehen. Wie erwartet befand sich seine Zelle im tiefsten Kerker des Schlosses. Sie gingen einen schmalen, finsteren Gang entlang, der so niedrig war, daß sich die Männer nur gebückt darin bewegen konnten, und an dessen Ende sich eine schmale, steil nach oben führende, endlos lange Treppe befand. Nachdem sie eine Tür aus massiven Eichenbohlen passiert hatten, gelangten sie in das eigentliche Gefängnis, das weit oberhalb seiner Zelle lag.
    Als sie den Gefängnistrakt betraten, konnte Andrej das Leid, das in der Luft lag, fast körperlich spüren. Nicht nur er, sondern sogar seine Bewacher hatten im ersten Augenblick Mühe, überhaupt zu atmen. Die beiden großräumigen Zellen hinter riesigen Eisengittern, die den Gang flankierten, waren hoffnungslos überfüllt. Der Gestank menschlicher Exkremente vermischte sich mit dem von Krankheit und Tod; außerdem drang von beiden Seiten ein unentwegtes, gedämpftes Stöhnen und Wehklagen auf sie ein. Angesichts der gut fünfzig Männer, Frauen und Kinder, die in den beiden Zellen zusammengepfercht waren, erschienen Andrej diese Geräusche erstaunlich leise. Viele der Gefangenen hatten wohl nicht einmal mehr die Kraft, ihrem Leid Ausdruck zu verleihen.
    Der Anblick zog Andrejs Herz zu einem harten, eisigen Klumpen zusammen, so daß er mehrmals hastig die Augen niederschlug, um ihn nicht länger ertragen

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