Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1
zu müssen. Als man ihn in seinen Kerker gebracht hatte, war er ohne Bewußtsein gewesen, da einer der Soldaten ihn niedergeschlagen hatte; er war erst wieder zu sich gekommen, als man ihn bereits in seiner Zelle angekettet hatte. Jetzt begriff er, daß dies eine Gnade gewesen war. Die Tage, die er allein mit sich und seinen Gedanken dort unten verbracht hatte, waren schlimm genug gewesen; aber mit den Bildern dessen vor Augen, was Demagyar den gefangenen Dorfbewohnern angetan hatte, wären sie zur Hölle geworden. Zwar hatte er gewußt, daß sich Frederics Familie und Freunde hier unten befanden, aber diese Wirklichkeit hier war um etliches schlimmer als alles, was er sich in seiner Phantasie ausgemalt hatte.
So unangenehm ihm diese Bilder des Schreckens auch waren, Andrej zwang sich doch, sich noch einmal nach beiden Seiten umzusehen. Er sah graue, von Leid und Schmerz und vor allem Furcht gezeichnete Gesichter, aber dasjenige Frederics war nicht unter ihnen. Wenn Demagyar die Wahrheit gesagt hatte und sich der Junge in seiner Gewalt befand, wurde er an einem anderen Ort gefangengehalten.
Sie gingen weiter nach oben und traten schließlich auf den Hof hinaus. Andrej schloß geblendet die Augen und hob ganz instinktiv die Hand, um sich vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen. Sofort hob einer seiner Begleiter sein Schwert und setzte die Klinge an Andrejs Kehle, und ein zweiter drückte ihm die Spitze seiner Hellebarde in den Magen. Andrej erstarrte für einen Moment zur Reglosigkeit. Was immer Demagyar oder Domenicus über ihn erzählt haben mochten
- die Soldaten des Herzogs hatten einen höllischen Respekt vor ihm. Diesen Umstand würde er zu seinen Gunsten ausnutzen können. Aber nicht jetzt. Neben allem anderen, was dagegen sprach, machte es ihm allein schon die Tatsache, daß der Herzog auch Frederic in seiner Gewalt hatte, vollkommen unmöglich, jetzt zu fliehen.
Vorsichtig senkte er die Hand wieder, wartete ab, bis die Soldaten ihre Waffen zurückgezogen hatten, und zwang sich zu einem leicht verunglückten Grinsen. War das Angst, was er auf den Gesichtern dieser Männer las, oder war es Haß? Immerhin glaubten sie, daß er einen ihrer Kameraden getötet hatte.
Während sie weitergingen, sah sich Andrej ein zweites Mal aufmerksam auf dem Innenhof der Burganlage um. Seine Augen gewöhnten sich rasch an das grelle Tageslicht, aber der Anblick, der sich ihm bot, wurde dadurch nicht angenehmer. Die Festung wirkte auch am Tage so düster und abweisend wie in der Nacht, nur konnte man diesen Eindruck jetzt nicht mehr auf die Dunkelheit und die gespenstischen Schatten schieben. Andrej sah einen abweisenden, kalten Ort, an dem ihm jede menschliche Regung und jedes Lachen fehl am Platze schienen.
Die Soldaten führten ihn in einen großen, spärlich möblierten Saal in der ersten Etage des Palas - Ják Demagyars Thronsaal, wie Andrej vermutete. Der Raum wurde von einem großen, zur Zeit allerdings erloschenen Kamin beherrscht, über dem das Wappenschild der Demagyars hing, darunter ein mit einem Morgenstern gekreuztes Schwert. Beide Waffen dienten nicht nur der Dekoration, sondern zeigten ebenso wie der Schild deutliche Spuren früherer Kämpfe.
Vor dem Kamin war eine lange Tafel aufgestellt worden, an der Demagyar und drei Andrej unbekannte Männer Platz genommen hatten. Nur einer von ihnen trug die Farben des Herzogs, die beiden anderen waren in zivile, allerdings sehr kostbare Gewänder gekleidet. Vermutlich handelte es sich um Würdenträger der Stadt. Zwei weitere Plätze an der Tafel waren noch frei, einer davon direkt neben dem Herzog.
»Ihr wißt, warum Ihr hier seid«, begann Demagyar unmittelbar.
»Um Eure Gastfreundschaft zu genießen?« fragte Andrej. »Wenn dem so ist, dann hätte ich eine Beschwerde, was mein Zimmer anbe …«
Einer der Soldaten schlug ihm mit solcher Wucht in den Nacken, daß er taumelte. Andrej tat ihnen nicht den Gefallen, zu stöhnen, sondern biß die Zähne zusammen und blinzelte ein paarmal.
»Ihr scheint Euch immer noch nicht über den Ernst der Lage im klaren zu sein, Delãny«, sagte Demagyar stirnrunzelnd.
»Die Freundlichkeit der Bedienung läßt auch zu wünschen übrig«, murmelte Andrej. Er spürte, wie der Mann hinter ihm erneut ausholte, und spannte sich, aber der Herzog hob abwehrend die Hand, und der erwartete Hieb blieb aus.
Dann wandte sich Demagyar mit einem angedeuteten Kopfschütteln an den Mann zu seiner Linken. »Wie ich Euch gesagt habe, Graf Bathory -
Weitere Kostenlose Bücher