Hohle Köpfe
Schlachthauses wahr.
Die Spur führte im Zickzack durch die Stadt, aber es ließ sich doch eine gewisse Zielstrebigkeit erkennen. Jemand schien ein Lineal auf eine Karte von Ankh-Morpork gelegt zu haben, um dann jede Straße und Gasse zu nehmen, die in die gewünschte Richtung führte.
Angua erreichte eine kurze Sackgasse, an deren Ende sie die Tore mehrerer Lagerhäuser sah. Sie schnüffelte. Da waren auch andere Gerüche. Teig. Farbe. Schmiere. Kiefernharz. Scharfe, laute, frische Gerüche. Angua schnupperte erneut. Kleidung? Wolle?
Fußabdrücke im Boden. Die Abdrücke großer Füße.
Jener kleine Teil von Angua, der immer auf zwei Beinen ging, stellte fest, daß die Fußabdrücke, die von den Lagerhäusern fortführten, sich auf den Fußabdrücken befanden, die hineinführten. Sie schnüffelte weiter. Bis zu zwölf Geschöpfe, jedes mit einem charakteristischen Geruch ausgestattet. Aber es waren nicht die Gerüche lebender Wesen, eher die von
Ware.
Auf jeden Fall waren die betreffenden Individuen die Treppe hinuntergegangen, um etwas später auf die Straße zurückzukehren.
Angua schlich über die Stufen – und stieß auf eine unüberwindliche Barriere.
Eine Tür.
Mit Pfoten konnte man keinen Türknauf drehen.
Sie spähte über den oberen Rand der Treppe. Niemand in der Nähe. Nebelschwaden hingen zwischen den Gebäuden.
Sie konzentrierte sich und wechselte die Gestalt. Einige Sekunden lehnte sie an der Mauer und wartete, bis die Welt um sie herum wieder zur Ruhe kam. Dann öffnete sie die Tür.
Dahinter erstreckte sich ein großer Kellerraum. Selbst für die scharfen Augen eines Werwolfs gab es nicht viel zu sehen.
Angua mußte Mensch bleiben, denn in dieser Gestalt konnte sie besser denken. Unglücklicherweise beanspruchte eine Erkenntnis einen erheblichen Teil ihrer Denkkapazität: Sie war nackt. Wenn jemand eine nackte Frau in seinem Keller fand, stellte er bestimmt Fragen. Oder er hielt sich überhaupt nicht mit Fragen auf, nicht einmal mit »Bitte?«. Angua zweifelte nicht daran, daß sie mit einer solchen Situation fertig wurde, aber es war ihr lieber, Zwischenfälle dieser Art zu vermeiden. Nachher war es immer so schwierig, die Form der Wunden zu erklären.
Sie durfte keine Zeit vergeuden.
Schriftzeichen bedeckten die Wände. Große und kleine Buchstaben, zweifellos von Golemhänden gemalt und gekratzt. Sie reichten vom Boden bis zur Decke, gingen ineinander über und übereinander hinweg. Es war fast unmöglich, in den einzelnen Wortgefolgen noch einen Sinn zu erkennen. Hier und da offenbarten sich Fragmente von Mitteilungen:
… Du sollst nicht… Was er macht, ist nicht… Zorn auf den Schöpfer… Wehe den Herrenlosen… Worte im… Ton von… Laßt mein… Bring uns die Freiheit…
In der Mitte des Bodens waren abgewetzte Stellen zu sehen – dort schienen einige Leute immer wieder auf und ab gegangen zu sein. Angua ging in die Hocke, strich mit den Fingerkuppen über den Staub und schnupperte an ihnen. Auch diese Gerüche waren sehr stark und nicht schwer zu identifizieren. Immerhin roch ein Golem nur nach Ton und nach den Dingen, mit denen er bei der Arbeit in Berührung kam…
Ihre Finger berührten etwas. Ein kleines Stück Holz, einige Zentimeter lang: ein Streichholz ohne Kopf.
Sie suchte und fand zehn weitere Streichhölzer im Staub, als hätte sie jemand achtlos fallen gelassen.
Ein halbes Streichholz lag ein ganzes Stück abseits von den anderen.
Angua sah jetzt nicht mehr so gut wie unmittelbar nach dem Wechsel ihrer Gestalt, aber der Geruchssinn bewahrte seine Schärfe länger. Die Gerüche von dem Holz erwiesen sich ebenfalls als sehr stark, und sie entsprachen denen der Fährte. Der Schlachthausgeruch, den Angua mit Dorfl in Verbindung brachte, klebte an dem halben Streichholz.
Sie hockte sich auf die Fersen und betrachtete den Haufen aus kleinen Holzstäbchen. Zwölf Personen (zwölf Personen, die schmutziger Arbeit nachgingen) hatten sich hier für kurze Zeit versammelt. Eine… Diskussion hatte stattgefunden – darauf deuteten die vielen Worte an der Wand hin. Dann hatten die zwölf irgend etwas mit elf ganzen Streichhölzern (ohne Kopf; wahrscheinlich waren die Stäbchen nicht in Schwefel getaucht worden. Arbeitete der nach Kiefernharz riechende Golem in einer Streichholzfabrik?) und einem halben angestellt.
Anschließend verließen sie den Keller und gingen dorthin zurück, woher sie gekommen waren.
Abgesehen von Dorfl. Er kehrte nicht zum Schlachthaus
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