Hohle Köpfe
vergaß ihn und erinnerte sich erst wieder an die Sache, als plötzlich überall Wasser war. Der Kerl hatte bis zum Fluß gegraben.«
Karotte entrollte das vergilbte Pergament auf dem Tisch und legte den Zettel aus Pater Tubelceks Mund daneben.
»Ist er jetzt tot?« fragte Feldwebel Colon.
»Er ist jetzt harmlos«, erwiderte Karotte und verglich die Schriften miteinander.
»Gut. Ich glaube, hier liegt irgendwo ein Vorschlaghammer. Ich hole ihn und…«
»Nein«, sagte Karotte.
»Du hast doch gesehen, wie er sich verhalten hat!«
»Ich bezweifle, daß er mich wirklich geschlagen hätte. Vermutlich wollte er uns nur Angst einjagen.«
»Das ist ihm gelungen!«
»Sieh dir das hier an, Fred.«
Feldwebel Colon blickte auf den Schreibtisch. »Ausländisches Gekritzel«, sagte er in einem Tonfall, der deutlich darauf hinwies, daß ihm ordentliche
inländische
Schriftzeichen, die nicht nach Knoblauch rochen, in jedem Fall lieber waren.
»Fällt dir irgend etwas daran auf?«
»Nun, die beiden Schriften ähneln sich«, sagte Feldwebel Colon.
»Hier auf dem vergilbten Pergament stehen Dorfls Worte«, erläuterte Karotte. »Und der Zettel steckte zwischen Pater Tubelceks Lippen. Der Inhalt ist identisch, Buchstabe für Buchstabe.«
»Und warum?«
»Ich
glaube,
Dorfl hat die Worte geschrieben und sie dem alten Tubelcek in den Mund gesteckt, nachdem der alte Mann gestorben war«, sagte Karotte langsam. Sein Blick wanderte noch immer zwischen den beiden Schriftstücken hin und her.
»Igitt«, kommentierte Nobby. »Das ist ja
abscheulich
…«
»Nein, du verstehst nicht«, sagte Karotte. »Dorfl hat die Worte geschrieben, weil sie seiner Erfahrung nach funktionierten.«
»Weil
sie funktionierten
?«
»Nun, kennt ihr den sogenannten Kuß des Lebens?« fragte Karotte. »Schon mal was von erster Hilfe gehört? Ich wußte, daß
du
dich damit auskennst, Nobby. Du hast mich ja zu dem Kurs begleitet.«
»Ich bin nur mitgekommen, weil du gesagt hast, daß es dort kostenlosen Tee mit Kuchen gibt«, entgegnete Nobby verdrießlich. »Außerdem ist die Puppe fortgerannt, als ich an die Reihe kam.«
»So geht man vor, wenn man jemandem das Leben retten will«, sagte Karotte. »Wir möchten, daß die betreffende Person atmet, deshalb pusten wir ihr Luft in die Lungen…«
Sie drehten sich um und sahen den Golem an.
»Aber Golems pusten nicht«, stellte Colon fest.
»Nein, ein Golem kennt nur eine Sache, die Leben verleiht«, meinte Karotte. »Die Worte in seinem Kopf.« Alle Blicke glitten zu den Schriftstücken auf dem Schreibtisch.
Anschließend sahen sie wieder zu der Statue namens Dorfl.
»Hier ist es plötzlich ganz kalt«, sagte Nobby mit zittriger Stimme. »Ich habe einen Luftzug gespürt, als ob…«
»Was ist hier los?« fragte Mumm und schüttelte die Feuchtigkeit aus seiner Jacke.
»… jemand die Tür geöffnet hätte«, beendete Nobby den Satz.
Zehn Minuten später.
Feldwebel Colon und Nobby hatten den Dienst beendet und das Wachhaus verlassen, zur großen Erleichterung der übrigen Wächter. Gerade Colon fiel es schwer zu verstehen, warum man die Ermittlungen fortsetzen sollte, nachdem jemand gestanden hatte. Das widersprach allen seinen Prinzipien. Seiner Ansicht nach war der Fall erledigt, sobald man ein Geständnis hatte. Er hielt es für unangebracht, den Leuten zu
mißtrauen.
Das machte nur Sinn, wenn jemand behauptete, unschuldig zu sein. Wer ein Geständnis abgelegt hatte, verdiente Vertrauen. Alles andere brachte die Grundsätze des Polizeiwesens völlig durcheinander.
»Weißer Ton«, sagte Karotte. »Weißen Ton haben wir gefunden. Und kaum gebrannt. Dorfl hingegen besteht aus dunkler Terrakotta und ist praktisch steinhart.«
»Der Priester sah einen Golem, als er starb«, erinnerte sich Mumm.
»Dorfl, nehme ich an«, erwiderte Karotte. »Was aber noch lange nicht bedeutet, daß Dorfl der Mörder ist. Ich glaube, er traf nur am Tatort ein, als es mit Pater Tubelcek zu Ende ging. Das ist alles.«
»Ach? Und warum?«
»Das… weiß ich noch nicht. Ich habe Dorfl schon oft gesehen, und er erschien mir immer sehr sanftmütig.«
»Er arbeitet in einem Schlachthaus!«
»Vielleicht ist das kein schlechter Arbeitsplatz für einen Sanftmütigen«, meinte Karotte. »Ich habe in den Akten nachgesehen. Es gibt kein einziges Beispiel dafür, daß ein Golem jemals jemanden angegriffen oder ein Verbrechen begangen hat.«
»Oh, ich
bitte
dich«, brummte Mumm. »Jeder weiß, daß…« Er unterbrach
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