Hohle Köpfe
stillen, leeren Straße um, und sein rechter Fuß fand einen Kiesel im Rinnstein. Verstohlen schob er ihn zu den Kreidelinien rüber, rückte die Jacke zurecht, hüpfte und sprang, drehte sich um, hüpfte erneut…
Was rief man während der einzelnen Sprünge? »Salz, Senf, Essig, Pfeffer?« Nein. Vielleicht »Waldemar Schlappi ist ein Dummkopf«? Diese Sache ging ihm jetzt bestimmt nicht mehr aus dem Kopf.
Eine Tür öffnete sich, und Mumm verharrte mit erhobenem Bein. Zwei in Schwarz gekleidete Gestalten traten langsam und unbeholfen über die Schwelle.
Sie trugen einen Sarg.
Der natürliche Ernst dieser Situation litt ein wenig unter dem Umstand, daß es den beiden vorderen Sargträgern alles andere als leicht fiel, ihre Last durch die schmale Tür zu bugsieren, ohne dabei eingezwängt zu werden. Ihre beiden Kollegen am hinteren Ende des Sargs hatten ähnliche Schwierigkeiten.
Mumm faßte sich wieder, stellte den erhobenen Fuß aufs Pflaster zurück und nahm respektvoll den Helm ab.
Ein zweiter Sarg kam zum Vorschein. Er war viel kleiner als der erste und wurde von zwei Personen getragen, obwohl eine genügt hätte.
Trauergäste folgten den Särgen.
Mumm griff in die Tasche und suchte nach dem Zettel, den er von Detritus bekommen hatte. Die Szene vor ihm entbehrte nicht einer gewissen Komik. Sie erinnerte ihn an die Kutsche im Zirkus, aus der zwölf Clowns ausstiegen. Die hiesigen Häuser hatten nur wenige Zimmer, aber dafür wohnten viele Personen in ihnen.
Er fand den Zettel. Unbesonnenheitsstraße Nummer siebenundzwanzig, erster Stock hinten.
Die Adresse stimmte. Mumm war rechtzeitig für eine Beerdigung eingetroffen. Für
zwei
Beerdigungen.
»Heute scheint ein ziemlich schlechter Tag für Golems zu sein«, meinte Angua. Eine tönerne Hand lag im Rinnstein. »Das ist nun schon der dritte, dessen Scherben auf der Straße liegen.«
Weiter vorn krachte es, und ein Zwerg flog mehr oder weniger horizontal durch ein Fenster. Funken stoben von seinem Helm, als er auf die Straße prallte. Doch die kleine Gestalt sprang sofort wieder auf und stürmte durch eine nahe Tür.
Einige Sekunden später schoß der Zwerg erneut durchs Fenster. Hauptmann Karotte fing ihn und stellt ihn auf die Beine.
»Hallo, Herr Erzschmeißer! Ist alles in Ordnung mit dir? Was geht hier vor?«
»Der verdammte Gimlet! Du solltest ihn sofort verhaften, Hauptmann Karotte!«
»Warum denn? Was hat er getan?«
»Er hat Leute vergiftet, jawohl!«
Karotte warf Angua einen kurzen Blick zu und sah dann wieder Erzschmeißer an. »Vergiftet?« wiederholte er. »Das ist ein sehr ernster Vorwurf.«
»Und ob! Ich habe mir die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, ebenso Frau Erzschmeißer! Ich dachte mir nicht viel dabei, bis ich heute morgen hierher kam und andere Leute traf, die sich beschwerten…«
Er versuchte, sich aus Karottes Griff zu befreien. »Weißt du was?« fuhr er fort. »Weißt du
was?
Wir haben in seinem Kühlraum nachgesehen, und was haben wir dort gefunden? Was haben wir dort
gefunden?
Weißt du, was Gimlet als Fleisch verkauft?«
»Sag’s mir«, erwiderte Karotte.
»Schweine- und Rindfleisch!«
»Meine Güte.«
»Und Lamm!«
»Ts, ts.«
»Nur ganz wenig Rattenfleisch!«
Angesichts dieser gastronomischen Durchtriebenheit schüttelte Karotte den Kopf.
»Und Snori Glodssohnsonkelssohn hat gestern abend Rattenüberraschung bestellt, und er meint, er habe
Hü
h
nerknochen
darin gefunden!«
Karotte ließ den Zwerg los. »Bleib hier«, sagte er zu Angua, zog den Kopf ein und betrat Gimlets Feinkostbude »Gesundes Schlemmen«.
Eine Axt flog ihm entgegen. Er fing sie wie beiläufig und warf sie beiseite.
»Au!«
Unmittelbar vor der Theke herrschte besonders großes Durcheinander. Die Auseinandersetzung war längst über das Stadium hinaus, in dem der Grund dafür noch eine Rolle spielte. Hier stritten sich Zwerge, was bedeutete, daß es jetzt um so wichtige Fragen ging wie die, wer vor dreihundert Jahren wessen Großvater um sein Bergwerk betrogen hatte und wessen Axt nun an welchem Hals ruhte.
Karottes Gegenwart bewirkte, daß der Kampf allmählich nachließ und die Teilnehmer versuchten, möglichst unschuldig zu wirken. Die Atmosphäre schlug um, pendelte jetzt mehr zu: »Axt? Welche Axt? Oh,
diese
Axt? Ich wollte sie nur meinem Freund Björn hier zeigen, guter alter Björn.«
»Na schön«, sagte Karotte. »Was soll all das Gerede über Gift? Herr Gimlet zuerst.«
»Es ist eine gemeine Lüge!« rief Gimlet.
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