Hohle Köpfe
plötzlich zu einem anderen Ort. Die Schafe drehen sich um und jagen den Schäfer.«
Witwenmacher schenkte ihr keine Beachtung. »Heute abend findet bei Lady Selachii eine Soiree statt. Ich glaube, Nobbs ist dazu eingeladen worden. Vielleicht können wir ihn… kennenlernen.«
Mumm redete sich ein, daß er nur feststellen wollte, welche Fortschritte das neue Wachhaus an der Kröselstraße machte. Die Unbesonnenheitsstraße lag in unmittelbarer Nähe. Er wollte dort mal kurz vorbeischauen, inoffiziell. Es hatte keinen Sinn, extra jemanden damit zu beauftragen. Die Mordfälle, Vetinari, Detritus’ Anti-Platte-Kampagne… Es gab bereits mehr als genug zu tun.
Er ging um die Ecke – und blieb abrupt stehen.
Es hatte sich kaum etwas verändert, und diese Erkenntnis war wie ein Schock. Nach – zu vielen – Jahren hatten die Dinge einfach nicht das Recht, unverändert zu sein.
Noch immer liefen Wäscheleinen zwischen den alten grauen Häusern hin und her. Uralte Farbe blätterte ab, wie billige Farbe, die man auf zu altes und halb verfaultes Holz gestrichen hatte, eben abblättert. Die Bewohner der Unbesonnenheitsstraße waren zu arm, um sich ordentliche Farbe leisten zu können, und gleichzeitig zu stolz, Tünche zu benutzen.
Der Ort erschien Mumm nur ein wenig kleiner als früher.
Wann war er zum letztenmal hier gewesen? Er konnte sich nicht daran erinnern. Dieser Bereich der Stadt erstreckte sich hinter den Schatten – einem Viertel, das die Wache seinem eigenen Schrecken überließ.
Doch im Gegensatz zu den Schatten war die Unbesonnenheitsstraße sauber. Es war die besondere, leere Sauberkeit von Leuten, die es sich nicht leisten können, Schmutz zu vergeuden. Hier wohnten Personen, die nicht nur arm waren, sondern die überhaupt nichts von ihrer Armut wußten. Wenn man sie danach fragte, antworteten sie vermutlich: »Man soll nicht klagen.« Oder: »Es gibt Leute, die viel schlimmer dran sind als wir.« Oder: »Wir sind immer zurechtgekommen und schulden niemandem etwas.«
Mumm glaubte, die Stimme seiner Oma zu hören: »Niemand ist zu arm, um sich Seife zu kaufen.« Natürlich konnte man tatsächlich zu arm sein. Aber die Bewohner der Unbesonnenheitsstraße kauften trotzdem Seife. Wenn schon das Essen auf dem Tisch fehlte, sollte dieser wenigstens sauber sein. In der Unbesonnenheitsstraße aßen die Leute hauptsächlich ihren eigenen Stolz.
Die Welt war in einem gräßlichen Zustand, fand Mumm. Obergefreiter Besuch meinte, die Sanftmütigen würden sie einst erben. Welche Sünden hatten die armen Teufel begangen, daß sie
das
verdienten?
Die Bewohner der Unbesonnenheitsstraße würden beiseite treten, um die Sanftmütigen passieren zu lassen. Sie blieben in der Unbesonnenheitsstraße, geistig wie körperlich, weil sie ahnten, daß es
Regeln
gab. Und sie gingen mit der vagen Furcht durchs Leben, diese Regeln nicht immer zu beachten.
Es hieß, es gebe Gesetze für die Reichen und Gesetze für die Armen, aber das stimmte nicht. Es gab keine Gesetze für jene, die Gesetze schufen, auch nicht für die chronisch Gesetzlosen. Gesetze und Regeln gab es nur für diejenigen, die dumm genug waren, wie die Bewohner der Unbesonnenheitsstraße zu denken.
Es war seltsam still dort. Normalerweise wimmelte es von Kindern, und Karren rumpelten zum Hafen. Doch heute wirkte alles… abgesperrt und eingeschlossen.
Mitten auf der Straße bemerkte Mumm die Kreidezeichen eines Himmel-und-Hölle-Spiels.
Er spürte, wie ihm die Knie weich wurden. Es war noch immer da! Wann hatte er es zum letztenmal gesehen? Vor fünfundreißig Jahren? Vor vierzig? Vermutlich war es viele tausend Male neu gezeichnet worden.
Damals war er darin sehr geschickt gewesen. Natürlich hatten sie nach den Ankh-Morpork-Spielregeln gespielt und nicht nach einem Stein getreten, sondern nach Waldemar Schlappi. Damals hatten sich fast alle Spiele darum gedreht, nach Waldemar Schlappi zu treten, ihn zu jagen oder auf ihm herumzuspringen – bis er einen seiner berühmten Wutanfälle bekam und zum Angriff überging.
Mumm hatte Waldemar in neun von zehn Fällen zum gewünschten Feld befördert. Beim zehnten Versuch hatte ihm der Bursche ins Bein gebissen.
Waldemar Schlappi ärgern und genug zu essen finden… diese beiden Aktivitäten ergaben ein schlichtes, einfaches Leben. Man wurde kaum von Fragen geplagt, auf die man keine Antworten wußte – abgesehen von der, wie man die Eiterwunden am Bein behandeln sollte.
Sir Samuel blickte sich auf der
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