Hohle Köpfe
Anteil.«
»Ja?«
»Und du weißt, daß ich eine Menge für dich empfinde.«
»Ja?«
»Aber manchmal…«
»Ja?«
»Manchmal frage ich mich wirklich nach dem
Grund
dafür.«
Dutzende von Kutschen parkten vor Lady Selachiis Villa, als Korporal Nobbs über die Zufahrt schlenderte. Er klopfte an die Tür.
Ein Lakai öffnete. »Dienstboteneingang«, sagte er und wollte die Tür wieder schließen.
Doch darauf war Nobbys Fuß vorbereitet. »Lies das hier.« Er hielt dem Mann zwei Zettel vors Gesicht.
Auf dem ersten stand:
Nachdem ich die Gutachten einiger Fachleute entgegengenommen und auch mit der Hebamme Frau Rutschtrocken gesprochen habe, erkläre ich hiermit: Mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit ist der Besitzer dieses Dokuments, C. W. St. John Nobbs, ein Mensch.
Gezeichnet, Lord Vetinari
Die zweite Mitteilung war ähnlich offizieller Natur und stammte vom Drachenkönig.
Der Lakai riß die Augen auf. »Oh, es tut mir schrecklich leid, Euer Lordschaft.« Er richtete erneut einen Blick auf Korporal Nobbs. Nobby war glatt rasiert. Besser gesagt, als er sich zum letztenmal rasiert hatte, war er glatt rasiert gewesen. Doch sein Gesicht wies so viele kleine topographische Merkmale auf, daß es wie ein sehr schlechtes Beispiel für Brandrodung aussah.
»Meine Güte«, ächzte der Lakai. Er riß sich zusammen. »Normalerweise kommen die Besucher mit einer Einladungskarte.«
Nobby holte eine knittrige Karte hervor. »Ich muß jetzt erst einmal mit den hohen Tieren plaudern und so«, sagte er. »Aber nachher hätte ich nichts gegen eine Runde Leg-Herrn-Zwiebel-rein einzuwenden.«
Der Lakai musterte ihn von Kopf bis Fuß. Es verschlug ihm die Sprache. Er hatte natürlich Gerüchte gehört – wer nicht? –, daß der rechtmäßige König von Ankh-Morpork in der Stadtwache arbeitete. Eins stand fest: Wenn man ein heimlicher Thronerbe sein wollte, konnte man sich nicht besser tarnen als mit dem Gesicht von C. W. St. J. Nobbs.
Andererseits war der Lakai Amateurhistoriker und wußte daher: Während der langen monarchischen Geschichte von Ankh-Morpork hatten die verschiedensten Geschöpfe auf dem Thron gesessen, unter ihnen Bucklige, Einäugige, Sabberer und Leute, so häßlich wie die Sünde. Nach diesen Maßstäben war Nobby zweifellos sehr königlich. Zwar trug er keinen Buckel auf dem Rücken, dafür aber vorn und an den Seiten. In dieser Hinsicht konnte man kaum majestätischer sein.
»Besuchst du solch einen Empfang zum erstenmal, Herr?« fragte er.
»Ja«, bestätigte Nobby.
»Ich bin sicher, das Blut Eurer Lordschaft wird sich der Herausforderung gewachsen zeigen«, sagte der Lakai.
Ich muß fort, dachte Angua, als sie durch den Nebel eilten. Ich kann nicht länger von Monat zu Monat leben.
Es ist keineswegs so, daß er nicht liebenswert wäre. Sicher gibt es kaum jemanden, der ihn an Warmherzigkeit übertrifft.
Und genau das ist es. Sein warmes Herz gilt jedem und allem. Karottes Anteilnahme kennt keine Grenzen. Er weiß alles über jeden, weil ihn jeder interessiert. Seine Warmherzigkeit ist allgemeiner, nie persönlicher Natur. Er hält persönliche Dinge für nicht so wichtig.
Wenn er doch nur eine anständige menschliche Eigenschaft hätte, zum Beispiel Egoismus.
Ich bin sicher, daß er nicht bewußt daran denkt, aber ich weiß, daß ihn diese Werwolf-Sache tief in seinem Innern beunruhigt. Was die Leute hinter meinem Rücken sagen… Es berührt ihn. Und er weiß nicht, wie er damit fertig werden soll.
Was haben die Zwerge neulich gemurmelt? »Sie spürt den Drang«, und: »Den Drang, sich den Magen zu füllen.« Ihr Gesichtsausdruck… Ach, ich achte einfach nicht darauf. Es gelingt mir fast immer, solche Bemerkungen zu ignorieren. Aber Karotte… Ihn belastet der Spott sehr. Wenn er doch nur einmal wütend werden und jemanden niederschlagen würde! Ändern kann er damit natürlich nichts, aber es wäre sicher eine Erleichterung für ihn, etwas Dampf abzulassen.
Und es wird immer schlimmer. Bestenfalls erwischt man mich in irgendeinem Hühnerhaus, und dann geht’s rund. Oder jemand überrascht mich in seinem oder ihrem Zimmer…
Angua versuchte, diese Gedanken zu verdrängen, aber es gelang ihr nicht ganz. Man konnte den Werwolf nur kontrollieren, nicht aber zähmen…
Es ist die Stadt. Hier gibt es zu viele Leute, zu viele Gerüche…
Vielleicht würde es funktionieren, wenn wir irgendwo allein wären. Aber wenn es »Ich oder die Stadt« hieße, gäbe es für ihn nicht
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