Hohle Köpfe
mit Hühnern.
Sie schauderte.
Wem wol te sie etwas vormachen? Tagsüber fiel es nicht schwer, Vege-
tarier zu bleiben. Doch nachts mußte sie sich dagegen wehren, Men-
schen auf ihren Speisezettel zu setzen.
Die ersten Uhren schlugen elf, als Mumms Sänfte vor dem Palast des
Patriziers hielt. Die Beine des Kommandeurs drohten nachzugeben, aber
er schaffte die fünf langen Treppen trotzdem im Spurt. Im Gästesalon
sank er müde auf einen Stuhl.
Minuten verstrichen.
Man klopfte nicht an die Tür des Patriziers. Er bestel te einen zu sich,
in dem sicheren Wissen, daß man wartete.
Mumm lehnte sich zurück und genoß die Ruhe.
Irgendwo unter seiner Jacke erklang ein »Bimm-bumm-bimmel-bimm«.
Er seufzte, holte ein ledernes Objekt von der Größe eines kleinen Bu-
ches hervor und öffnete es.
Ein freundliches, aber besorgtes Gesicht sah aus einem kleinen Käfig
zu ihm auf.
»Ja?« fragte Mumm.
»Elf Uhr. Vormittag. Termin beim Patrizier.«
»Ja? Und? Inzwischen ist es fünf Minuten nach elf.«
»Äh«, erwiderte der Kobold. »Du hast den Termin wahrgenommen,
stimmt’s?«
»Nein.«
»Soll ich dich weiter daran erinnern?«
»Nein. Übrigens hast du mich nicht darauf hingewiesen, daß man mich
um zehn bei den Wappenherolden erwartete.«
Der Kobold erschrak.
»Der Termin war doch für Dienstag vorgesehen, oder? Ich hätte
schwören können, daß du von Dienstag gesprochen hast.«
»Ich bin bei den Wappenherolden gewesen«, betonte Mumm. »Vor ei-
ner Stunde.«
»Oh.« Der Kobold wirkte niedergeschlagen. »Äh… na schön. Ähm.
Was hältst du davon, wenn ich dir sage, wie spät es in Klatsch ist? Oder
in Gennua. Oder in Hunghung. Nenn mir irgendeinen Ort – ich kann dir
die Uhrzeit nennen.«
»Es interessiert mich überhaupt nicht, wie spät es in Klatsch ist.«
»Aber vielleicht mußt du es mal wissen«, entgegnete der Kobold fast
verzweifelt. »Stell dir nur mal vor, wie beeindruckt die Leute sind, wenn
du eine Gesprächspause mit den Worten fül st: ›Da fällt mir ein, in
Klatsch ist es eine Stunde früher.‹ Oder wenn du die Uhrzeit von Bes
Pelargic oder Ephebe nennst. Frag mich. Nur zu. Nenn mir irgendeinen
Ort.«
Mumm seufzte innerlich. Er hatte ein Notizbuch. Darin notierte er
sich wichtige Dinge. Und dann schenkte ihm Sybil – mochten die Götter
sie segnen – einen mit fünfzehn verschiedenen Funktionen ausgestatte-
ten Kobold. Zehn dieser fünfzehn Funktionen bestanden offenbar darin,
sich für die Ineffizienz der anderen zu entschuldigen.
»Du könntest eine Notiz aufzeichnen«, schlug Mumm vor.
»Donnerwetter! Im Ernst? Meine Güte. In Ordnung. Überhaupt kein
Problem.«
Mumm räusperte sich. »Mit Korporal Nobbs über Dienst und Grafen-
titel reden.«
»Äh… entschuldige bitte. Lautet so die Notiz?«
»Ja.«
»Bitte um Verzeihung, aber du mußt zuerst ›Notiz Anfang‹ sagen. Ich
bin ziemlich sicher, daß es so im Handbuch steht.«
»Ich werde versuchen, beim nächsten Mal darauf zu achten. Zeichne
die Notiz jetzt auf.«
»Entschuldigung, aber du mußt sie noch einmal wiederholen.«
»Notiz Anfang: mit Korporal Nobbs über Dienst und Grafentitel re-
den.«
»Al es klar«, sagte der Kobold. »Soll ich dich zu einem bestimmten
Zeitpunkt daran erinnern?«
»Meinst du unsere Zeit hier?« erwiderte Mumm spöttisch. »Oder die in
Klatsch?«
»Da wir gerade dabei sind: Ich kann dir…«
»Ich glaube, ich schreib’s in mein Notizbuch, wenn du nichts dagegen
hast«, sagte Mumm.
»Oh, wenn dir das lieber ist… Ich kann auch Handschriften erkennen«,
verkündete der Kobold stolz. »Ich bin ziemlich hochentwickelt.«
Mumm holte sein Notizbuch hervor. »Auch diese hier?« fragte er.
Der Kobold spähte aus seinem Käfig. »Ja, genau, das ist eine Hand-
schrift. Kein Zweifel. Besteht aus Kringeln und Schnörkeln und so.
Handschrift, ganz klar.«
»Sollst du mir nicht mitteilen, was sie bedeutet?«
»Bedeutet?« wiederholte der Kobold verwundert. »Wie kann Gekritzel
etwas bedeuten ?«
Mumm legte das recht abgenutzt aussehende Notizbuch beiseite und
schloß den Deckel des Organizers. Dann lehnte er sich zurück und war-
tete weiter.
Irgendein kluger Kopf – sicher ein klügerer Kopf als jener, der für die
Programmierung des Kobolds verantwortlich war – hatte die Uhr im
Gästesalon des Patriziers konstruiert. Sie machte »Tick-tack« wie jede
andere Uhr. Aber entgegen der üblichen horologischen Praxis war die
Abfolge des Ticks
Weitere Kostenlose Bücher