Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
über den »kleinen Pimmel« der Jüngeren. Ich bin heute noch dankbar, dass ich dadurch keine Komplexe bekommen habe – und dass meine Mitschüler meine Homosexualität nicht entdeckten. Das wussten nur die, die so waren wie ich, und davon gab es ein paar. Wir verbrachten unsere freie Zeit zusammen und erkundeten unsere Sexualität. Ein bisschen Küssen, ein bisschen Leidenschaft, ein bisschen Fummeln, aber immer in Angst und im Verborgenen.
Auch wenn es ein paar Jungs gab, die so wie ich waren, blieb das Internat ein ständiger Kampf. Als ich etwa zwölf Jahre alt war, stand ich einmal vor dem Unterricht im Klassenzimmer herum, eine Hand in die Hüften gestützt. Da kam meine Lehrerin, schlug mir mit dem Lineal auf die Hand und schrie mich an: »Ein Mann steht nicht so.«
Das Gefühl, anders zu sein, bewirkte, dass ich mich ständig kontrollierte. Ich durfte nicht spielen, was mir Spaß machte. Ich durfte meine Hüften nicht schwingen, wie ich wollte. Ich musste darauf achten, wie ich mich bewegte. Ich durfte nicht zeigen und auch nicht sagen, dass ich schwul war.
Die Magie der roten Dose
Das Überleben im Internat hat mir vor allem mein bester Freund Manuel erleichtert, der noch heute wie ein Bruder für mich ist. Wir waren unzertrennlich und wussten beide, dass wir homosexuell waren. Vor Manuel musste ich mein zweites Ich nicht verstecken. Ich konnte sein, wie ich war. Wir haben alles zusammen gemacht und sind gemeinsam durch dick und dünn gegangen.
Manuels Mutter Nelly war eine der besten Freundinnen meiner Mutter. Die beiden Frauen engagierten sich in unserem Dorf sehr aktiv in der Frauenorganisation Mujeres Cubana s und fuhren auch auf Kongresse nach Havanna. Manuel wuchs mit seiner Mutter und ihren vielen Schwestern auf, nachdem sein Vater die Familie schon früh verlassen hatte. Weil Manuel in der Nähe des Arbeitsplatzes meiner Mutter wohnte, ging ich häufig nach der Schule mit zu ihm. Und mit elf Jahren wohnten wir zusammen im gleichen Internat. Diese enge Bindung besteht bis heute, und es gibt kaum etwas, das wir nicht voneinander wissen.
Mit zwölf beschloss ich, die Welt außerhalb des Internats zu entdecken. Ich wollte dem harten Schulalltag entfliehen, etwas Neues erleben und auch andere Homosexuelle kennenlernen. Kuba ist wie eine Überraschungskiste. Egal wo du bist, in der Stadt oder in der Pampa, du kannst immer tolle Leute treffen. Das ist heute noch so. »Komm, lass uns verreisen«, schlug ich Manuel vor. Von da ab schwindelten wir unseren Eltern, die uns zu Hause erwarteten, regelmäßig vor, dass wir am Wochenende im Internat bleiben müssten, um an einem Projekt zu arbeiten.
Und so wurden Jorge und Manuel zu Wochenendtouristen: Wir stellten uns in Santa Clara an die carretera central , die Landstraße, die durch Kuba verläuft, denn eine Autobahn gab es damals noch nicht. Manuel stand auf der einen und ich auf der anderen Seite der Straße. Sobald ein Auto anhielt, stiegen wir ein, egal in welche Richtung es ging. Auf diese Weise haben wir fast die ganze Insel bereist. An einem Wochenende fuhren wir von Santa Clara Richtung Süden nach Cienfuegos, einer malerischen Stadt am Meer, die auch Perle des Südens genannt wird, oder Richtung Osten nach Camagüey, der drittgrößten Stadt der Insel; ein andermal nach Havanna oder nach Varadero an den Strand. Erst unternahmen wir nur Ausflüge am Wochenende, doch irgendwann fingen wir an, unseren »Urlaub« zu verlängern, weil es so schön war unterwegs, und schwänzten ein paar Tage die Schule. »Warum zurückgehen?«, sagte ich zu Manuel. »Komm, wir bleiben.«
Einmal wäre uns meine Mutter fast auf die Schliche gekommen. Denn eine Bekannte unserer Mütter, die zufälligerweise auch unterwegs war, hatte gesehen, wie wir beim Trampen in einen Laster stiegen. Sie erzählte einer von Manuels Tanten davon: » Imagínate , stell dir vor, ich habe deinen Neffen und Jorge gesehen, wie sie in einem Lastwagen Richtung Cienfuegos gefahren sind. Was haben die denn da gemacht?« Die Tante erzählte es Manuels Mutter und die wiederum meiner Mutter. So was kommt vor, wenn man in einem Dorf lebt und eine große Familie hat.
Wir hatten echt Mühe, uns da rauszureden. Weil ich meine Mutter nicht enttäuschen wollte, erzählte ich ihr, wir hätten für ein Projekt in Cienfuegos etwas recherchieren müssen. Meine Mutter war so lieb. Statt uns Vorwürfe zu machen oder in der Schule anzurufen, machte sie sich Sorgen, was uns auf der Fahrt alles hätte
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