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Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Titel: Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge González
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zweites Ich!

    * Ich meinte natürlich: Hohlkreuz

2. – PLAN B

Überlebenstraining
    Als ich mit elf Jahren ins Internat kam und auf einmal all diese fünfzehn-, sechzehnjährigen Jungs sah, war ich ständig hin- und hergerissen zwischen dem Ich, das ums Überleben kämpfte, und dem Ich, dessen Sexualität in einer Umgebung erwachte, wo diese Jungs ihre Männlichkeit zeigten und erprobten.
    Das Internat lag auf einem riesigen Schulgelände und bestand aus mehreren großen Gebäuden, in denen sich die Unterrichts-, Aufenthaltsräume und Schlafsäle der einzelnen Einheiten befanden. Alles war sehr modern: Es gab Sportplätze, Laboratorien, Turnhallen, Schwimmbäder, ein Kino, mehrere Kantinen, ein Restaurant und Versammlungsplätze, auf denen die Schüler regelmäßig zum Appell antreten mussten.
    Einmal im Monat konnten wir in der Schule einen Etikettekurs besuchen, wo man uns Tischmanieren beibrachte. Alle Schüler freuten sich darauf. Denn zu diesem Zweck wurde das internatseigene Restaurant sehr elegant hergerichtet mit blütenweißen Damastdecken, Stoffservietten, mehreren Gläsern und Silberbesteck. So etwas gab es sonst nicht im Internat, da saßen wir in der Kantine an Resopaltischen und aßen mit billigem Besteck von einem Tellertablett aus Aluminium. Ich liebte die dekorierten Tische – das kannte ich von zu Hause.
    Ich war mit sechzig anderen Schülern in einem Schlafsaal untergebracht, der vollgestellt war mit Etagenbetten. Nebenan gab es eine Großraumdusche – der pure Horror, denn bis dahin hatte ich mein zweites Ich immer gut versteckt. Und auf einmal war ich Tag und Nacht mit anderen Kindern und Jugendlichen zusammen. Ich kam mir vor, als hätte mich jemand in einen Boxring gestellt und gesagt: »Los, chico , kämpf ums Überleben!«
    Als ich das erste Mal den Schlafsaal betrat, der eher wie ein Militärcamp aussah, dachte ich nur: »O je, das wird ein Kampf.« Und der fing schon in der ersten Nacht an. Kaum ging das Licht im Schlafsaal aus, flogen die ersten Kissen, Schuhe, Steine. Einige Jungs prügelten sich, andere machten Pipi auf das Bett von einem der Neuen. Die Stärkeren und Größeren klauten den Kleineren ihre Sachen – das Essen, die Klamotten, alles, was wir von zu Hause mitgebracht hatten.
    Auch tagsüber schikanierten die älteren Schüler die jüngeren, verfolgten sie zu viert oder zu fünft und verprügelten sie, sobald niemand in der Nähe war. Was eine zukunftsweisende Schule des Geistes sein sollte, entpuppte sich zugleich als eine qualvolle Schule des Lebens. Ich hatte weder Lust, mich zu prügeln, noch war ich stark genug dafür. Wie soll ich das bloß durchstehen, fragte ich mich nicht nur in der ersten Nacht, in der ich kaum schlief. Das Einzige, was mir helfen konnte, war mein Verstand. Und der riet mir, mich ganz schnell mit einem zu verbünden, der stärker war als ich.
    In jedem Schlafsaal führte ein Schüler, meistens der größte, die Aufsicht. In meinem Saal war das ein muskulöser Fünfzehnjähriger. Er liebte Musik, vor allem Michael Jackson, die Beatles und Queen. Ich beobachtete, wie er sich jeden Abend aufs Dach schlich, um auf seinem tragbaren Radio amerikanische Sender zu hören, die in Kuba verboten waren. Sein Problem bestand darin, dass er kein Englisch konnte.
    Eines Abends folgte ich ihm und ertappte ihn auf frischer Tat. »Was tust du hier?«, rief ich.
    »Oh, ich will nur ein paar Songs hören«, antwortete er, und obwohl es verboten war, diese Musiksender zu hören, machte er sich nicht mal die Mühe, das Radio leiser zu stellen.
    Da sang Freddie Mercury gerade We are the Champions.
    »Verstehst du überhaupt, was der da singt?«, fragte ich.
    »Nein, leider nicht. Warum?«
    »Ich kann Englisch und könnte es dir übersetzen, wenn du willst.«
    Er überlegte einen Augenblick und sagte dann ganz locker: »Okay.«
    Und so fing ich an, den Song für ihn zu übersetzen.
    »Aber ich will etwas dafür«, sagte ich, als Freddie Mercury zu Ende gesungen hatte.
    Er zog nur die Augenbrauen hoch und fragte: »Und was?«
    »Das Bett unter deinem Bett.«
    Er kapierte sofort und wies mir, als wir wieder im Schlafsaal waren, vor versammelter Mannschaft meinen neuen Schlafplatz zu: »Wer dem González etwas tut, bekommt Probleme mit mir.«
    Meine Eltern freuten sich, dass ich die Möglichkeit zu einer Eliteausbildung bekam, die nichts kostete. Was ihnen jedoch nicht klar war: Im Grunde genommen bezahlten wir mit unserer Arbeitskraft. Alle, selbst die gerade

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