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Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Titel: Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge González
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samstags kurz vor Ladenschluss für die Kunden »meine« Show gemacht. Ich ging in eine Kabine, zog mich um und kam mit einem glitzernden Rock und High Heels wieder heraus und tanzte hüftschwingend zur Salsamusik, die ich aufgelegt hatte. Die Leute liebten diese Auftritte.
    Mit der Zeit wurde ich zu einem sehr erfolgreichen Verkäufer, und mein Aufgabenfeld weitete sich aus. Ich ging zu den Fashionshows nach Mailand und Paris, sichtete die Kollektionen und suchte aus, was sich in Hamburg erfolgreich verkaufen ließ. Einmal kaufte ich nur Ledersachen in allen möglichen Farben: Jacken in Rot, Grün, Lila … Meine damalige Chefin muss mich für verrückt gehalten haben. Nachdem sie die Sachen gesehen hatte, sagte sie nur: »Wenn du das nicht verkaufst, kannst du deine Sachen packen und gehen.« Ich glaube, ich habe ihr ein paar schlaflose Nächte bereitet, denn sie sah sich schon Bankrott machen. Am Ende war es eine der bestverkauften Kollektionen, die wir je hatten, und wir mussten sogar nachbestellen.
    Ich war sicher gewesen, dass wir nicht auf den Sachen sitzen bleiben würden. Schließlich kannte ich meine Kunden. Viele waren früher mit ausgefallenen Lederjacken in den Laden gekommen, und wenn ich fragte, woher sie das Teil hatten, sagten sie: »Ach, das habe ich in Paris gekauft.« – »Ach, das habe ich aus Marbella.« Da dachte ich: Warum müssen sie so weit fahren, um etwas Besonderes zu kaufen?
    In diesen Jahren arbeitete ich nicht nur in dem Designerladen, sondern nebenbei immer wieder mal als Model, Stylist, Choreograf und Catwalktrainer. Das war die Ära der Topmodels, die ich hautnah miterlebte. Ich reiste viel durch Europa und genoss meine Freiheit. Das Traurige an dieser eigentlich wunderschönen Zeit war nur, dass ich nach wie vor nicht in mein Heimatland reisen durfte, um meine Familie endlich wiederzusehen. Das ließ mir einfach keine Ruhe. Auch wenn wir uns am Telefon inzwischen sprechen konnten, empfand ich eine tiefe Sehnsucht nach ihnen, vor allem nach meiner Mutter. Und ich wusste, dass es ihnen seit Beginn der kubanischen Wirtschaftskrise, der periodo especial, richtig schlecht ging, auch wenn meine Mutter die ernste Lage am Telefon immer herunterspielte, um mich nicht zu beunruhigen.
    Bevor ich aus Kuba wegging, waren die meisten Menschen zwar nicht reich, aber sie hatten einen Job, zu essen und ein Dach über dem Kopf. Und plötzlich war von einem Moment auf den anderen – rummms – alles weg. Die Leute hatten kein Geld mehr, es gab wenig zu essen, und die medizinische Versorgung wurde immer schlechter. Sie mussten tagtäglich kämpfen, um die Familie satt zu bekommen. Eine meiner Cousinen stopfte Karton in ihre völlig durchlöcherten Schuhe und ging so zur Universität. Es war ihr einziges Paar, und neue hätte sie sich nicht leisten können.
    Auch der Sextourismus in Kuba hatte zugenommen und viele junge Frauen und junge Männer prostituierten sich, um wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen. »Das stimmt nicht, das ist Propaganda«, rief ich entsetzt, als ich einen Fernsehbericht darüber sah. Aber welche Propaganda sollte das sein, ging mir sofort danach durch den Kopf. Ich, der Kubaner, der sein Land verlassen hatte, dachte wie ein Sozialist und fühlte auch so. Als ich das Land 1985 verließ, wurde in Kuba Liebe noch mit Liebe verrechnet und nicht mit Geld. Die schlimme Zeit, die danach kam, hatte ich nicht selbst erlebt.
    Ich konnte nicht akzeptieren, dass Jugendliche so weit gingen, sich zu verkaufen, um zu überleben. Sex war zu meiner kubanischen Zeit etwas Genussvolles. Damals hieß es: »Hey, du gefällst mir, gehen wir tanzen. Komm, lass uns Spaß miteinander haben …« Und nicht: »Ich verkaufe dir meinen Körper, weil ich etwas zu essen oder zum Anziehen brauche.« Das wollte einfach nicht in meinen Kopf gehen.
    Einmal kam ein Kunde, ein älterer homosexueller Mann, in die Hamburger Boutique, der gerade in Kuba Urlaub gemacht hatte. Als er hörte, dass ich Kubaner war, saß und saß er im Laden herum und machte mir Avancen. Als ich auf Distanz blieb, sagte er plötzlich ungehalten: »Ich hoffe, du akzeptierst meine Einladung, denn in Kuba kann ich schönere Männer als dich für fünf Dollar haben.«
    Ohne ihm eine Antwort zu geben, packte ich ihn am Kragen und warf ihn aus dem Laden. Nach diesem Erlebnis wurde mir klar, dass sich Kubas Image geändert hatte. Früher galten meine Leute als freundlich, höflich, lebenslustig, respektvoll und glücklich. Und auf einmal

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