Holidays on Ice
älteste Geschichte der Welt. Und genau das f ührt mich auch an diesem frostigen Weihnachtsmorgen zu euch so ganz besonderen Menschen. Ich könnte jetzt mit meinen beiden Stiefkindern in San Tocino Del Rey sein. Oder bei meiner leiblichen Tochter in ihrem Therapiezentrum an einem geheim gehaltenen Ort, oder ich könnte jedes einzelne meiner »Zwei Cents für die Hoffnung«-Kinder besuchen, deren Patenschaft ich da unten in Mittelamerika übernommen habe. Ich könnte bei meiner schon etwas älteren Mutter in ihrem Pflegeheim oder bei meinem einzigen Bruder sein, da, wo er sich zufällig gerade aufhalten mag. Aber statt dessen bin ich hier in Jasper's Breath, Kentucky, weil ich, verdammtnochmal, hier sein will! (Auf Tisch, Lesepult, was sie so haben, hauen. Notfalls gegen Stirn.)
Ich stehe vor euch, den Gl äubigen dieser schlichten, schuppenartigen Kirche der Pfingstgemeinde, weil ich Anteil nehme. Ich nehme Anteil an uns allen. Aber dumm bin ich nicht, und ich will mich auch nicht dumm stellen. Ich lese die Zeitungen und Illustrierten und weiß sehr wohl, dass eins eurer Mitglieder so etwas wie eine Berühmtheit ist. Sie hat ihrem Sohn ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk gemacht. Ich bin sicher, ihr wisst, wovon ich spreche. (Betreffende Frau anlächeln.) Laut Gerichtsbeschluss darf ich ihren Namen nicht nennen, aber ihr wisst, wer sie ist. Sie sitzt genau hier unter uns. Oh, vor einem Jahr erregte sie ziemliche Aufmerksamkeit, als sie ihrem Kinde das schönste Geschenk darbrachte, das ein Mensch nur darbringen kann: das Geschenk des Lebens. Da ihr alle von hier seid, seid ihr mit der Geschichte zweifel los vertraut, aber gestattet mir bitte, sie auf meine Weise nachzuerz ählen, weil mir ihr Klang so gefällt. Ihr könnt mich gern verrückt nennen, aber die Geschichte spricht mich irgendwie an. Vor einem Jahr an einem eisigen Weihnachtsmorgen ergriff eine junge verwitwete Mutter, arm wie Schmutz, aber auf ihre Weise immer noch attraktiv, eine einschneidende Maßnahme, um das Leben eines fünfjährigen Kindes zu retten, welches an Nierenversagen starb. Sie hatte keine Krankenversicherung oder Dialysemaschine, aber sie hatte eine schwere Bibel, und die benutzte sie, indem sie sie dem Jungen an den Hinterkopf haute, wodurch er k. o. ging und ihm der Schmerz erspart wurde, der nun kommen sollte. Sie nahm ein rostiges Taschenmesser und Nadel und Faden von der billigsten Sorte, und damit schickte sich die junge Frau an, eine ihrer Nieren zu entnehmen und das lebenswichtige Organ erfolgreich in den verletzlichen Körper ihres Sohnes zu verpflanzen. Sie tat dies ohne jede diesbezügliche Erfahrung, ohne auch nur die mindeste Ahnung von den einfachsten medizinischen Prozeduren zu haben. Das Kind hatte eine andere Blutgruppe, und die Niere war viel zu groß für seinen Körper, aber das Organ wurde nicht abgestoßen und triumphierte so über alle Gesetze der Naturwissenschaft. Diese Operation wurde nicht in einer sterilen chirurgischen Umgebung durchgeführt, sondern in einer dunklen, schmuddeligen Scheune voller Heu, einem Stall nicht unähnlich. Diese Scheune starrte von Kot. Es gab dort Spinnen und Flöhe, und trotzdem war die Verpflanzung ein Erfolg. Der Junge erwachte und wurde nur wenig später gese hen, wie er fr öhlich in dem brombeerdornenübersäten Graben spielte, der seinen Vorgarten darstellte. Ein Nachbar benachrichtigte die Obrigkeit, welche verständlicherweise angesichts der vollständigen Erholung des Knaben vor einem Rätsel stand. Als man sie befragte, wie sie es geschafft hatte, eine so komplexe und heikle Operation durchzuführen, sagte die ungebildete junge Frau nur: »Der Herr hat mich geholfen.«
Nun ist sie entweder die gr ößte Lügnerin seit meiner dritten Frau, oder es hat sich in jener erbärmlichen, blechgedeckten Scheune ein Wunder ereignet, ein Wunder, bei dem nur zwei Ziegen, ein halbes Dutzend Hühner und ein Kampfhahn mit einem gebrochenen Bein zugegen waren. Und unglücklicherweise weigern sich diese Tiere, genau wie die junge Frau auch, zu reden. Reporter kamen angekrochen, schnüffelten nach Antworten, sie jedoch hielt reinen Mund. Eine chirurgische Weltkonferenz flog aus allen vier Himmelsrichtungen herbei, und wieder war alles, was sie sagte: »Der Herr hat mich geholfen.« Na, wie hört sich das an, dieses technische Kauderwelsch!
Nun, ihr Leut, ich kann diese verschreckte, gesetzestreue, bescheidene Frau vom Lande zwar gut verstehen, wenn sie den W ölfen von den
Weitere Kostenlose Bücher