Hollisch verliebt
Ich habe mich schon gefragt, ob ich sie überhaupt mag.“
Und vor einiger Zeit hat sie sich selbst nicht gemocht.
„Und ich will ihren Vater töten. Sie hat ihren Vater geliebt.“
In den letzten Jahrzehnten wollte sie ihm oft etwas antun. Weißt du, er war nicht immer nett zu ihr. Aber, Aden? Du bist auch noch hier. Dieser Wunsch, ihn zu töten, kann genauso gut von dir kommen.
In ihm steckten Splitter von Victorias Seele, die ihn antrieben und veränderten. Gut oder schlecht? War das gut oder schlecht? „Woher weißt du das?“
Ich weiß alles, schon vergessen? Der selbstironische Tonfall kündete zugleich von Wahrheit und Furcht.
„Nicht mehr. Schon vergessen?“
Die Tänzerin hielt inne, stieß ein perlendes Lachen aus – ein wunderbarer und zugleich abstoßender Klang – und streifte ihre Kapuze zurück, um ihn zum ersten Mal direkt anzusehen. Ihr hübsches Gesicht war zart und hinreißend.
„Da bist du ja, mein Liebster. Warum sitzt du so weit weg? Komm her und tanz mit mir.“
Liebster? Ja, er kannte sie, aber er wusste nicht, woher. Seine Gedanken blieben immer wieder bei den Worten „Mutter“ und „nervtötend“ hängen. Sie war nicht seine Mutter – oder doch? –, und er wusste nicht, warum er sie nervtötend finden sollte.
„Ich kann nicht tanzen“, sagte er.
„Ich nehme alle Schuld auf mich, versprochen.“
Er blinzelte verwirrt. Sie wollte die Schuld für etwas auf sich nehmen, das er nicht konnte?
Wenn du jetzt aufstehst und tanzt, verzeihe ich dir das nie , sagte Caleb. Du machst dich nur zum Affen und uns damit auch.
Wundert mich aber, dass du nicht abtanzen willst, Caleb, spottete Julian. Das Rumgezappel gehört doch zu dem Paarungsritual, mit dem man Frauen anmacht. Oder so.
Aden, Alter. Wenn du tanzen willst, steh einfach auf und tanz! Calebs Kehrtwende war beinahe komisch. Schmeiß dich ran.
Mit einem weiteren perlenden Lachen schlug die Frau ihre Kapuze wieder hoch. „Schon gut, Liebster, wenn du meinst. Dann tanze ich eben allein.“ Wieder wirbelte sie herum. „Aber du verpasst wirklich etwas.“
„Aden“, sagte Victoria mit klarer Stimme. „Du hast mich gerufen?“ Er musste sich zwingen, zu ihr aufzublicken. Sie stand dicht neben ihm, flankiert von den Wölfen. Die Sonne stand hinter ihr, sodass es fast aussah, als habe sie einen Heiligenschein. Das dunkle Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Wie immer trug sie ein schwarzes Kleid, aber dieses hatte lange Ärmel und war aus einem gröberen, dickeren Material gearbeitet. Sie sah … menschlich aus, wunderbar menschlich, Wangen und Nase waren gerötet, ihre Augentränten von der Kälte.
„Kennst du diese Frau?“ Er deutete auf … Sie war verschwunden. Die Tänzerin war aus dem Garten gewirbelt.
„Wen?“, fragte Victoria.
„Schon gut.“ Ihr Geruch umströmte ihn, er war ebenso betörend wie ihr Aussehen. Sein Zahnfleisch pochte, seine Zähne schmerzten, das Wasser lief ihm im Mund zusammen.
Na, wer hatte es denn gesagt? Das Rauschen kehrte in seinem Kopf zurück, gefolgt von einem gedämpften Schrei. Den gleichen Schrei hatte er schon letzte Nacht gehört. Leise, fast wie ein Wimmern, flehte er um Aufmerksamkeit. Beinahe wie ein kleines Baby.
Was war das, wollte Julian wissen.
„Wahrscheinlich nur Echos aus der Höhle“, nuschelte er. Verdammt.
Seine Zunge fühlte sich so dick an wie ein Golfball. Sein Blick blieb an Victorias pochendem Puls hängen. Hmm.
„Was ist?“ Victoria runzelte verwirrt die Stirn.
Das ist gefährlich, warnte Elijah. Sieh sie nicht an. Du darfst nicht von ihr trinken. Sonst wirst du wieder abhängig von ihr.
Oder noch schlimmer, nachher tauscht ihr wieder, und wir landen bei ihr. Julian graute hörbar davor.
Bin ich hier der Einzige, der auch mal was wagen will, fragte Caleb. Mach schon! Trink von ihr.
Hör nicht auf ihn. Trink von jemand anderem , befahl Elijah.
Nur wollte Aden von niemand anderem trinken, obwohl sich sein Magen schon schmerzhaft verkrampfte und obwohl er Victoria eigentlich wegschicken wollte.
Offenbar war sein Durst stärker als seine Vernunft, denn jetzt hatte er nur noch den Gedanken, sie bei sich zu behalten. Und er bekam, was er wollte. Immer. Seufzend stand er auf und streckte ihr eine Hand entgegen. Doch bevor er etwas sagen konnte, hallte wieder dieser jämmerliche Schrei durch seinen Kopf.
Ernsthaft, was ist das? Julian klang jetzt nicht mehr ängstlich, sondern genervt. Caleb, benimmst du dich wieder daneben
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