Hollisch verliebt
Er dachte kurz nach, bevor er nickte. „Ja, das wusste ich.“
Sie fragte ihn nicht, ob er das aus ihren Erinnerungen wusste, so wie auch sie einiges aus seinen Erinnerungen erfahren hatte, oder ob er das selbst herausgefunden hatte. Zum Beispiel in der vergangenen Nacht, die sie getrennt verbracht hatten. Sie wusste ja nicht, was er getrieben hatte. Manche Sachen wollte man gar nicht wissen.
„Auf jeden Fall kannst du nicht von mir trinken.“ So, sie hatte es gesagt.
Aden starrte sie einschüchternd an. „Ich weiß, dass ich nicht von dir trinken sollte, aber wieso bist du dagegen?“
Weil er dann herausfinden würde, wie verletzlich sie war. Weil seine immer noch menschlichen Zähne leicht in ihre Haut eindringen und sie verletzen würden. Weil es ihr vielleicht noch mehr gefallen würde als ihm.
Und weil sie jetzt nach seinem Biss süchtig werden konnte.
Dass die Blutsklavin sich so lustvoll und begierig hingegeben hatte, bedeutete, dass Aden offenbar auch ohne Fangzähne den Stoff produzierte, der die Opfer berauschte.
„Victoria?“
Stimmt, sie hatte noch nicht geantwortet. Was sollte sie sagen? „Ich will es einfach nicht“, log sie schließlich. Sie wechselte lieber das Thema. „Hast du letzte Nacht oder heute Morgen getrunken?“
Sofort bereute sie die Frage und ihren bissigen Ton. Ja, nun begriffsie endlich, was er all die Zeit durchgemacht hatte, wenn sie ihren Mund gegen jemand anderen gepresst und sein Blut in sich aufgenommen hatte. Er hatte es gehasst, aber akzeptiert, weil sie von anderen trinken musste, um zu überleben.
Eine schreckliche Vorstellung, dass er fremdes Blut trank, dass er seine Zähne in die Adern eines anderen Mädchens schlug. Sie hatte Lust, diese dumme Göre umzubringen!
Und dumm war sie, wenn sie sich mit Victorias Freund einließ. Ein solches Mädchen hatte verdient, was es bekam.
Was ist denn mit dir los?
Und ist er überhaupt noch dein Freund?
„Ich habe nichts getrunken. Noch nicht. Ich finde schon jemanden.“ Ihre anschwellende Wut bemerkte er nicht, oder sie war ihm egal. „Wenn ich so weit bin.“ Er warf ihr einen Blick zu, der sofort zu ihrem Hals hinunterglitt und an ihrem Puls hängen blieb. Typisch für das Raubtier, zu dem er geworden war.
Vielleicht war sie hier die Dumme, denn sie warf ihr Haar zurück, sodass ihr Hals freilag und ihm einen unwiderstehlichen Anblick bot.
Willst du ihn verführen, Vic?
Nein. Natürlich nicht.
Wirklich nicht?
Na schön. Ja. Ich will ihn verführen. Er gehört mir!
Jetzt führte sie schon Selbstgespräche. Der Tag wurde ja immer besser.
„Hast du heute schon getrunken?“, fragte er beiläufig. Bitter stieg die Enttäuschung in ihr hoch. So viel zu ihren Verführungsversuchen. „Ja, klar.“
Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und starrte sie aus violetten Augen durchdringend an. Violette Augen? Schon wieder? „Von wem?“, wollte er wissen.
Eigentlich die falsche Frage. Sie hatte nämlich zum ersten Mal im Leben kein Blut getrunken, sondern etwas gegessen. Richtige Nahrung, von seltsamer Konsistenz. Und Geschmäcker, die sie zuvor nur aus ihrer Flüssignahrung gekannt hatte. Seit letzter Nacht hatte ihr Bedürfnis nach Blut nachgelassen. Sie wollte und brauchte es immer noch, irgendwie, aber sie brauchte auch etwas anderes. Etwas Festes.
Sie war in den Teil des Hauses geschlichen, in dem die Sklaven wohnten, und hatte den Kühlschrank geplündert. Sie hätte auch zu den Wölfen gehen können, aber die hätten sie gerochen und gewusst,dass sie dort gewesen war. Und einem Gespräch über ihre neuen Essgewohnheiten wollte sie lieber aus dem Weg gehen.
Da sie nicht gewusst hatte, was sie nehmen sollte, hatte sie einfach zwei kleine Käselaibe unter ihrem Gewand versteckt – es hatte ausgesehen, als hätte sie riesige straffe Brüste – und sich wieder in ihr Zimmer gestohlen. Dort hatte sie an dem Käse geknabbert und überrascht festgestellt, wie gut ihr der satte rauchige Geschmack gefiel.
Vielleicht war ihr schwindendes Interesse an Blut auch der Grund dafür, dass Scharfzahn ständig brüllte. Immerhin musste sie seinetwegen noch Blut trinken, und weil er seit dem Frühstück nichts bekommen hatte, war er wahrscheinlich schon halb verhungert. Armer Kerl.
Armer Kerl?
Ihre Schutzzeichen waren intakt, sie waren also nicht das Problem. Auf ihrer Vampirhaut hatten die Zeichen höchstens ein paar Wochen lang gehalten, bevor Victoria sie nachstechen musste. Die neuen waren schon vier
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