Holly greift nach den Sternen
Oberhand.
»Wir sind gleich wieder da«, knirschte Holly und lächelte strahlend in die Kamera, während sie sich die vielen Anweisungen anhörte, die ihr ins Ohr gebellt wurden. »Und wir möchten uns bei Ihnen entschuldigen, falls einige Teile dieses Interviews Ihr Schamgefühl verletzt haben. Bis gleich!«
In dem Sekundenbruchteil bis zur Werbung stand Holly auf und riss sich das Mikro aus dem Ohr, während der Produzent und der Manager der Band auf die Bühne gerannt kamen.
»Was zum Teufel habt ihr euch dabei gedacht?«, schrie der Produzent. »Das könnte uns eine Riesengeldstrafe einbringen! Raus!«
Das war einfach zu viel.
»Wagen Sie mir bloß nicht zu drohen!«, schrie Holly zurück, aber dann wurde ihr klar, dass der Produzent nicht sie, sondern die Mitglieder von Wolfsbrut angeschrien hatte, denen ihr Manager von der anderen Seite den Marsch blies.
»Ihr verdammten Idioten!«, brüllte er. »Damit ist euer Weihnachtsauftritt gestorben! Wir hatten das mit einem Kinderchor und allem geplant - aber das hat sich ja jetzt wohl erledigt!«
»Das war doch bloß’n Späßchen«, murrte der Leadsänger. »Wir waren einfach anarchisch, wild, verrückt.« Er fuchtelte mit den Händen durch die Luft, um zu zeigen, wie anarchisch, wild und verrückt er war.
»Ich bin erledigt«, sagte Holly zu niemand Besonderem, weil ihr momentan auch keiner zuhörte. Sehr viele Leute mit Klemmbrettern rannten umher, aber nur die Visagistin kam zu Holly und zückte die Puderquaste, um die Haut zu mattieren.
»Meine Güte, du bist ja noch fleckiger als vorhin«, schnaufte sie. »Ich hol schnell die Grundierung und den Pinsel.«
Holly folgte ihr in die Maske, wo sie in aller Ruhe ihre Schminkutensilien in den Louis Vuitton- Kosmetikkoffer packte und ihre Jacke anzog.
»Wo gehst du hin?«, fragte eine der Garderobieren. »Du bist in dreißig Sekunden wieder dran.«
»Ich bin fertig«, krächzte Holly, als würde sie täglich vierzig Zigaretten rauchen. »Ich bin absolut, völlig und total fertig.«
»Aber du kannst doch nicht...« Die Visagistin hielt immer noch die Puderquaste hoch. »Wir haben noch fünfzehn Minuten Sendung; das Hauptlied und die Tanznummer kommen erst noch.«
»Nicht mein Problem«, entschied Holly und drückte die Tür auf. »Wenn sie mich verklagen wollen, sollen sie sich an meine Anwälte in den Staaten wenden.«
Draußen regnete es. Große, dicke Tropfen durchnässten sofort ihre Kleidung, nachdem sie durch den Bühneneingang in eine kleine Gasse gelangt war.
Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Ein Auto hatte sie hergebracht, und sie hatte angenommen, dass sie auch wieder zurückgebracht werden würde.
Mr Chow Chow drückte sein Missfallen durch Winseln aus, als er eine nasse Nase kriegte, und wackelte in seiner Tragetasche herum, während er sich unter seine Decke verkroch.
»Ich möchte mal wissen, wieso du schlechte Laune hast«, sagte Holly sauer. »Du bist doch nicht derjenige, der aus der Show abgehauen ist und jetzt keine Ahnung hat, wie er nach Hause kommen soll.«
Sie lief die Gasse entlang, bis sie in eine Straße mündete, und merkte auf halbem Weg dorthin, dass ihre Stiefel drückten. Sie konnte nicht mal mehr auf popligen Achtzentimeterabsätzen laufen.
Holly setzte sich auf eine Türschwelle, zog die Stiefel aus und klemmte sie sich unter den Arm, bevor sie in Richtung Ampel weiterging. Vergebens hielt sie nach dem kleinen orangegelben Licht eines freien Taxis Ausschau. Aber es gab ja immer noch den Bus. Sie war einmal mit Laura zusammen sehr betrunken mit dem Bus gefahren und eigentlich nicht besonders scharf auf eine Wiederholung.
Holly schüttelte irritiert eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht, als ein Auto genau dort stoppte, wo sie stand.
Sie hatte einmal eine Law & Order -Folge über Straßenprostituierte gesehen. Ihr Rock war zwar auch ziemlich kurz. Aber nicht so kurz.
Der Fahrer beugte sich herüber, um die Beifahrertür zu öffnen, und Holly war drauf und dran, ihm die Meinung zu geigen. Darin wurde sie immer besser.
»Steig ein, bevor du weggespült wirst«, sagte eine Stimme, die sie wegen des lauten Regengeprassels zunächst nicht erkannte. »Na los, Prinzessin, du wirst ja klatschnass.«
Reed.
Verwirrt spähte Holly ins Innere des Autos. Reed starrte sie an und trommelte ungeduldig auf das Lenkrad.
»Mensch, das ist ja ein irrer Zufall, dass du hier vorbeikommst. Ich weiß nicht mal, wo ich bin«, sagte sie.
»Waterloo«, antwortete Reed. »Und
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