Holly greift nach den Sternen
glotzte die Papiertaschentücher mit Irinas abgenagten Hühnerknochen darauf an, als würden sie ihr heftige Schmerzen bereiten. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Nein, mit mir ist verfickt noch mal gar nichts in Ordnung«, zischte Candy und warf Holly einen bösen Blick zu, den die mit Zinsen zurückgab.
Jemanden zu hassen, machte eigentlich einen Mordsspaß. Wer hätte das gedacht?
»Wir müssen reden«, sagte Candy leise und zog Laura unter Einsatz körperlicher Gewalt aus dem Zimmer.
Irina sah ihnen nach, dann drehte sie sich mit der größtmöglichen Verachtung wieder zu Holly um.
»Ich hasse diese Weiber«, konstatierte sie der Ordnung halber. »Du rufst an und bestellst noch eine Pizza jätzt?«
Am nächsten Morgen besetzte Candy als Erste das Wohnzimmer. Sie musste noch vor dem ersten Hahnenschrei aufgestanden sein (obwohl es in Camden wohl kaum viele Hähne gab), um ihren Anspruch anzumelden. Alle verfügbaren Sitzmöglichkeiten hatte sie mit auseinandergefalteten Sonntagszeitungen bedeckt. Als Holly schließlich auftauchte, um Popworld zu schauen, lächelte sie sie zufrieden an.
»Ich würde ja Platz für dich machen«, sagte sie mit falscher Freundlichkeit, »nur gab es da diesen ›Schau mich nicht an, atme nicht in meiner Nähe‹-Spruch.«
»Aber du hast das größte Zimmer«, platzte Holly heraus und zitterte am ganzen Leib, weil sie Candy so unfair fand. Mit Mühe verkniff sie sich ihre Empörung. »Meins ist nicht mal so groß wie eine Besenkammer, also darf ich mich hier aufhalten, wann immer ich will.«
»Mir doch egal«, sagte Candy gleichgültig und rekelte sich genussvoll auf dem Sofa. »Hau ab, Holly, von deiner quiekigen Stimme krieg ich Kopfschmerzen.«
Candy hatte totales Glück, dass Holly ein lieber Mensch war, der niederen Trieben nicht nachgab. Sonst wäre sie in Candys Zimmer gestürmt und hätte jedes einzelne Stück Stoff und Schnittmuster in Stücke gerissen. Stattdessen musste sich Holly damit begnügen, das Foto von Candy an der Pinnwand in der Küche mit Pickeln und Schnurrbart zu verzieren. Es war echt schade, dass es keine Firma gab, die Voodoopuppen herstellte und einen Sonntagslieferservice hatte.
Holly blieb also nichts übrig, als in ihrem Zimmer zu schmollen und an ihrer Liste zu arbeiten, bis Kaffeeduft (richtiger Kaffee aus Bohnen und kein Instantkaffee) durch die Türritzen drang und Lauras freundliches Klopfen sie herauslockte.
»In zwei Minuten Mieterversammlung im Wohnzimmer«, sagte Laura beiläufig, als wäre das nichts Besonderes. »In der Küche steht was zum Essen.«
Die Arbeitsplatte in der Küche sah aus wie das Frühstücksbüfett in einem Nobelhotel. Es gab unter anderem Berge von Bagels, saftige Scheiben geräucherten Lachs mit Zitronenschnitzen darauf und Dreiecke aus sahnigem Brie, außerdem ein Körbchen Croissants und Pain au chocolat.
Holly merkte, wie sie nur vom Einatmen des köstlichen Gebäckdufts mindestens zwei Kleidergrößen zulegte. Sie nahm sich einen Teller mit Obstsalat und ging ins Wohnzimmer, wo Irina und Candy mit rebellischen Mienen und vollgehäuften Tellern in den äußersten Ecken des Sofas saßen.
»Ich nur hier wegen ässen«, sagte Irina und biss in einen Bagel. »Dann ich hier raus.«
Candys Märtyrermiene wirkte so falsch wie ihre Haarfarbe. »Ich wollte fernsehen«, stöhnte sie vor sich hin, bevor sie sich ein Pain au chocolat quer in den Mund stopfte.
Endlich erschien Laura mit einem mit Lachs belegten Bagel. Sie würde heute fünfzehn Minuten länger laufen müssen, um die Kalorien wieder loszuwerden, überlegte Holly. Außerdem sollten zukünftige Supermodels eigentlich keine Socken mit Löchern tragen, aus denen der große Zeh rausguckte. Aber Laura ließ sich einfach graziös auf eins der Sitzkissen auf dem Boden sinken und erklärte die Mieterversammlung für eröffnet.
»Also, Leute, wir arbeiten alle hart«, verkündete sie energisch. »Wir müssen viel reisen, und wenn wir nach Hause kommen, sieht es hier immer aus wie nach einer Bombenexplosion. Deshalb sollten wir als Erstes eine höfliche Diskussion darüber führen, was hier falsch läuft.«
Es öffneten sich wahre Schleusentore für einen Strom von Anklagen und Gegenanklagen. Ja, Candy konnte in ihrem Zimmer tun, was sie wollte, aber alle hier hatten sich schon mal Stecknadeln von ihren Schneiderexperimenten in die Füße getreten. Außerdem war es egoistisch von Laura, ihre Wäsche in der Waschmaschine zu lassen und dann tagelang auf einen
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