Holly greift nach den Sternen
siebenjährigen Körper« war, wie es ein Mitarbeiter ausgedrückt hatte, der ungenannt bleiben wollte.
Oh ja, es gab ein ganzes Rudel namenloser Insider, die unbedingt ihre Eindrücke über entscheidende Augenblicke in Hollys Leben hatten loswerden wollen. Wie sie damals Pfeiffersches Drüsenfieber hatte und Amber einen Arzt dafür bezahlte, dass er ihr Vitamin-B-Spritzen gab, damit sie weiterdrehen konnte, oder wie sie von anderen Kindern auf dem Set ferngehalten wurde, weil die ihr vielleicht heimlich einen Donut gegeben hätten.
»Wir reden hier von einem kleinen Mädchen, das über komplizierte Details im Fernsehen genau Bescheid wusste, aber im Zusammenleben mit anderen Menschen völlig unerfahren war«, erinnert sich einer der ehemaligen Mitarbeiter der Serie. »Weder die Harlows noch das Studio dachten auch nur eine Sekunde darüber nach, dass es Gesetze zur Kinderarbeit gab. Die Kleine arbeitete täglich vierzehn Stunden und schlief manchmal am Set ein oder wurde mitten in der Nacht geholt, weil eine Szene nachgedreht werden musste.«
Holly konnte nicht weiterlesen, lief ins Bad und übergab sich.
Dann holte sie sich die Zeitung und setzte sich auf den Klodeckel. Diese Sätze waren irgendwie unheimlich, denn als das alles passierte, hatte sie sich nie irgendwelche Gedanken darüber gemacht. Es war eben einfach so, wie es war. Doch während sie das jetzt las und gewissermaßen durch die Augen anderer Leute betrachtete, war es doch äußerst, äußerst verstörend. Wie Szenen aus einem wirklich schlechten Fernsehfilm.
Ab wann lief es schief? Wie konnte der berühmteste Star Amerikas zwischen seinem vierzehnten und siebzehnten Lebensjahr einfach von der Bildfläche verschwinden? Und warum fragte niemand nach? »Die Pubertät war nicht nett zu Holly«, sagt ihre frühere Visagistin Carol Kent. »Alles, was schiefgehen konnte, lief schief. In einem halben Jahr wuchs sie gute fünfzehn Zentimeter, litt unter Akne und verlor ihr Kindergesicht, aber nicht ihre Kinderstimme. Es war eine Katastrophe. Das Foto auf dem Plakat zu Little Girl Lost - auf dem sie die Augen aufreißt und schreit - hat ihr Bild für immer geprägt; wie das Foto von Marilyn Monroe in dem weißen Kleid. Von so einem Foto kommt man nie wieder los.«
Deshalb wurde Holly Harlow in der Märchenvilla in Malibu eingesperrt und durfte nur von einem unablässigen Strom aus Diätberatern, Fitnesstrainern und einem berühmten Schönheitschirurgen besucht werden. »Ich glaube, der schlimmste Tag in Ambers Leben war der, an dem Holly ihre Periode bekam«, berichtet Maria Suarez, ihre ehemalige Haushälterin. »Sie heulte stundenlang und redete Holly ein, dass es ihr Fehler sei und dass ihre Karriere nun zu Ende wäre. Sie zwang Holly jeden Tag zu vier Stunden Fitnesstraining, und jeden Nachmittag kam eine Therapeutin, weil Holly wegen dem ganzen Stress Haarausfall gekriegt hatte. Es war, als lebte man mit einer Bombe mit Zeitzünder.«
Die Bombe ging am 13. März 2007 hoch, als jemand in der Buchhaltung feststellte, dass Hollys Bankkonten über Nacht von ihrem Vater Mark Harlow leer geräumt worden waren. »Mark erledigte das Geschäftliche. Er war fast nie da, und wenn, interessierte er sich nicht für Holly. Ich glaube, ich habe ihn nie mit ihr sprechen sehen«, erzählt Linda Chiarusco, die in der ersten Staffel von Hollys Haus ihre Mutter spielte. »Holly sehnte sich verzweifelt nach seiner Liebe, doch Mark kümmerte sich nur um seine Geschäfte. Es war aber Amber, die immer die Verträge mit dem Studio aushandelte, nachdem Mark anfänglich alles verbockt hatte.«
WO SIND HOLLYS MILLIONEN GEBLIEBEN?
Das hätte Holly auch gern gewusst. Ihr Blick wanderte zu der Grafik am Seitenrand, die ihr aber auch nicht mehr verriet als die Aussagen der Anwälte damals im Gerichtssaal von L. A.
Für den Londoner Anteil an ihrer vollständigen Demütigung hatten sie Mervyn aus der Versenkung geholt, wo er sich in den letzten Wochen versteckt hatte. Er gab sich große Mühe bei der Darstellung, wie sie ihren eigenen Sturz bewerkstelligt hatte.
»Unter all dem Glamour kämpfte ein nettes Mädchen darum, wahrgenommen zu werden«, resümierte er. »Aber ihr eigener Ehrgeiz war ihr dabei im Weg. Wenn man mit ihr redete, hätte man genauso gut mit einem Werbeplakat reden können. Die Scheinwerfer waren an, die Türen standen offen, aber die echte Holly war nicht zu Hause. Oft hätte man sie am liebsten geschüttelt, damit sie endlich vernünftig
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