Holly greift nach den Sternen
würde.«
Der Artikel endete mit einer kurzen Zusammenfassung von Lorena Carr, einem ehemaligen Broadwaystar, die sich eigentlich aus ihrem Beruf hatte zurückziehen wollen, dann aber doch Hollys beeindruckende Großmutter in der Serie gespielt hatte.
»Ich glaube, Holly hat sich nur vor der Kamera richtig frei gefühlt. Dann strahlte sie. Jetzt fallen alle über sie her und vergessen dabei, wie wahnsinnig gut sie einmal war. Holly besitzt ein hervorragendes Talent für komisches Timing, und sie verlieh den dürftigen Rollen, die sie nach dem Willen ihrer Eltern spielen musste, Tiefe und Verletzlichkeit.«
Holly hob den Kopf, weil jemand die Wohnung betrat und in die Küche ging. Der Kühlschrank wurde geöffnet und geschlossen, und gedämpfte Schritte waren zu hören, bevor sich eine Zimmertür schloss. Sie zwang sich weiterzulesen.
»Meiner Meinung nach könnte Holly eine lange, wundervolle Karriere haben«, fuhr Lorena Carr fort. »So ein Talent wie sie gibt es immer nur einmal in einer Generation, aber das haben ihre Eltern nie begriffen. Sie behandelten sie mehr wie ein Mittel zum Zweck und nicht wie eine Tochter. Ich finde es paradox, dass Mark wegen Betrugs im Gefängnis sitzt und nicht wegen Kindesmissbrauchs. Und Amber sollte in der Nachbarzelle sitzen. Das dürfen Sie gern zitieren.«
Holly weinte wieder, sie saß vornübergebeugt da und hatte die Arme um sich geschlungen, als könnte sie damit das verzweifelte Schluchzen unterdrücken, das aus ihr herausbrach. Es tat so schrecklich weh. Ihr ganzes Leben auf sechs Seiten, alle ihre schmutzigen kleinen Geheimnisse waren nicht mehr geheim, sondern konnten beim Frühstück betratscht werden. Sie hatte den Menschen Tag für Tag ihr strahlendstes Lächeln geschenkt und es war nicht genug gewesen. Sie wollten auch noch ihr Innerstes heraussaugen und dann die Knochen abnagen. Hinterher würde nichts mehr übrig bleiben, nur ein ausgehöhltes Mädchen, wo einmal Holly gewesen war.
Sie brauchte ein paar Augenblicke, bis sie merkte, dass ihr jemand übers Haar streichelte. Holly sah aus geröteten, verquollenen Augen hoch und blickte in Irinas Gesicht.
»Hey, nicht wärt zu weinen«, sagte sie, und ihre Stimme hörte sich weicher an als sonst. »Deine Ältern Scheiße, aber das lange här.«
Holly ließ sich von Irina hochziehen und halb in ihr Zimmer tragen, wo sie Holly in eine Decke einmummelte. Fünf Minuten später schluchzte sie nur noch ab und zu und hickste zwischendurch. Irina brachte ihr eine Tasse Tee und die Zeitung aus dem Bad.
»Hast du es gelesen, Irina?«
Das andere Mädchen seufzte. »Ist heute in allen Zeitungän. Wenn ich zurückkam, sitzen Fotografen vor Tür. Einer fragt, ob du trägst Pärücke.«
Holly war wieder nach Heulen zumute.
»Ich hatte mal Haarausfall. Das ist eine Krankheit und jetzt bin ich wieder gesund.« Sie warf einen Blick auf die Illustrierte und ein Schauder überlief sie. »Sie tun so, als wäre ich eine Art Opfer gewesen, aber so war es nicht. Es war irgendwie... Ich weiß gar nicht, wie es war.« Holly versuchte, sich aufzurichten, obwohl sie keine Ahnung hatte, wo sie eigentlich hinwollte. Ihre Fluchtpläne wurden durch Irina vereitelt, die sich auf das Bett setzte und einen knochigen Arm um Hollys Schultern legte.
»Du schaffst das«, sagte sie, als wäre das eine Tatsache. »Du beweisen allän, dass sie Scheiße räden. Du viel bässär als das.« Sie machte eine verächtliche Geste und zeigte auf die Illustrierte, die Holly wieder in der Hand hielt. »Gib mir.«
»Nein, ich will...« Holly klammerte sich mit aller Kraft an der Zeitschrift fest, aber Irina lockerte Hollys Finger.
RAAAAATSCHSCHSCHSCH!
Irina hatte die Illustrierte zerrissen.
»Bitte sähr«, sagte sie zufrieden. »Gibt nicht mähr. War mal. War Scheiße. Jetzt vergiss das alles!«
Irina könnte in Hollywood mit ihrer »Ruck-zuck-Therapie« ein Vermögen verdienen. Unter ihrem stählernen Blick rang sich Holly ein schwaches Lächeln ab.
»Wahrscheinlich sollte ich mich auf die positiven Seiten konzentrieren«, schlug sie wenig überzeugend vor. »Bloß weiß ich gerade nicht, welche das sind.«
»Du hast ein Tag für Mitleid und isst Schokolade oder was Mädchen dann immär tun, dann vorbei. Läben geht weiter, ja?«
Holly trank einen Schluck Tee, obwohl Irina die billigen Teebeutel genommen hatte und der Tee viel zu stark war. Aber sie würde nicht jammern oder um eine Scheibe Zitrone bitten, oh nein. Irina war untypischerweise
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