Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
in der einen und
eine Schüssel mit Cornflakes auf einem Glas Milch in der anderen Hand.
»Hast du mal was von einem Tablett gehört?« fragte Billy T. sauer und
vertiefte sich ins Dagbladet, um seinen Kollegen zu vertreiben; außer ihnen hielt sich in dem großen Raum kaum ein Mensch auf
Karl Sommaroy begriff den Wink nicht.
»Daß die Frau soviel auf dem Kasten hat, ist das eine«, er redete unverdrossen
weiter, nachdem er sich Billy T. gegenüber auf einen Stuhl gesetzt hatte. »Ich
hab ja von Leuten gehört, die länger hier sind als ich, daß sie so ungefähr ge-
nial ist. Aber es gibt doch wohl Grenzen für schlechtes Benehmen. Du hättest
mal sehen sollen, was sie...«
»Halt die Fresse«, sagte Billy T. wütend.
»Aber ehrlich...«
»Halt die Fresse!«
»Meine Güte. Das scheint ja ansteckend zu sein.«
Er hob die Cornflakesschüssel an den Mund und spachtelte los. Seine winzige
Kinnpartie verschwand hinter der Schüssel.
»Es muß doch verdammt noch mal erlaubt sein, seine Meinung zu sagen«,
nuschelte er. »So, wie sie mit ihren Untergebenen umspringt, hätte sie einen
ordentlichen Rüffel verdient. Aber offenbar ist sie ja für den
Polizeipräsidenten zu einer Art Maskottchen geworden. Ich kapier wirklich
nicht, wieso. Du...«
Billy T. hielt sich das Dagbladet vors Gesicht und blätterte wütend darin herum.
»Angeblich soll sie ja früher die Supersause gewesen sein«, flüsterte Karl
Sommaroy. »Stimmt das? Und daß sie eigentlich ... naja, vom anderen Ufer
ist? Lesbisch, meine ich? Sieht ja nicht gerade so aus, aber...«
Billy T. faltete die Zeitung zusammen. Dann beugte er
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sich über den Tisch und packte die Hemdbrust seines Kollegen. Sein Gesicht
war nur zwanzig Zentimeter von dem des anderen entfernt, als er fauchte:
»Hanne Wilhelmsen ist die beste Kraft hier im Haus. Ist das klar? Was sie
nicht über Polizeiarbeit weiß, kann auch allen anderen egal sein. Sie kennt den
Unterschied zwischen richtig und falsch, sie weiß mehr über Gesetze, als die
allermeisten Polizeijuristen hier, inklusive deiner selbst, und sie ist außerdem sehr schön. Im Moment ist sie überarbeitet und mit einer Person zusammen,
die jeden Moment sterben kann, also mußt du...«
Er schlug mit der freien Hand auf den Tisch, daß die Cornflakes nur so
tanzten.
»... verdammt noch mal hinnehmen können, daß sie gerade nicht die längste
Lunte aller Zeiten hat.«
Er ließ Sommaroy plötzlich los und starrte ihn verachtungsvoll an, dann trank
er den Rest seiner Cola und sprang auf.
»Aber hör doch mal«, sagte Sommaroy verdutzt und versuchte, sein Hemd
gerade zu ziehen.
»Nein«, brüllte Billy T. und schwenkte seinen riesigen Zeigefinger. »Wer hier
jetzt zuhört, das bist du. Was Hanne Wilhelmsen in ihrer Freizeit macht, geht
dich nichts an. Klar? Wenn sie möchte, daß du etwas über ihr Privatleben
weißt, dann wird sie es dir schon sagen. Und ansonsten ist es reichlich
idiotisch von dir, mir solchen Dreck über eine Person zu erzählen, von der du
ja wohl wissen müßtest, daß sie meine allerbeste Freundin ist.«
»Okay, okay, okay.«
Sommaroy machte mit der rechten Hand das Friedenszeichen und senkte den
Kopf.
»Das war es eigentlich nicht, worüber ich mit dir sprechen wollte«, sagte er
zaghaft. »Tut mir leid. Wirklich. Setz dich.«
Billy T. spürte, daß er zitterte. Zum zweiten Mal in sei
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nem Erwachsenenleben hätte er gern geweint. Seit dem Morgen versuchte er,
die richtigen Worte für Hanne zu finden; er mußte ihr irgend etwas erzählen,
das es ihnen ermöglichen würde zu behalten, was sie hatten und immer schon
gehabt hatten. Billy T. mußte Hanne behalten dürfen; ein Leben ohne sie kam
ihm ebenso sinnlos vor wie ein Leben ohne seine Kinder. Seine Gedanken
wirbelten von Hanne zu Tone-Marit weiter; er mußte seiner zukünftigen Frau
erzählen, was passiert war. Er mußte seinen Verrat gestehen und Verzeihung
erlangen, damit sie ganz schnell heiraten könnten, morgen, oder besser noch
heute abend; sie würden heiraten und er würde sich selbst bändigen und nie
mehr etwas Ähnliches anrichten.
Billy T. wußte, daß er es niemals erzählen könnte. Tone-Marit würde es nicht
erfahren. Am Nachmittag würde sie ihn am Essenstisch anlächeln, sich nach
der Arbeit erkundigen und vielleicht von Jennys erstem Lächeln erzählen.
Abends würde sie sich im Bett an ihn schmiegen. Sie würde mit ihrer Hand in
seiner einschlafen, das hatte sie sich
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