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Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Titel: Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred
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seit der Geburt so angewöhnt, als sei die Existenz des Kindes der endgültige Beweis dafür, daß sie zusammengehörten.
    Billy T. würde Tone-Marit nie erzählen, was passiert war, als er bei seiner be-
    sten Freundin übernachtet hatte, um einem heulenden Säugling zu entgehen
    und eine Nacht ungestört zu schlafen.
    »Was denn sonst?« fragte er und ließ sich wieder auf den Stuhl sinken.
    »Ich wollte noch mal in die Vogts gate 14«, sagte Sommaroy jovial und
    versuchte, den Blick seines Kollegen einzufangen, während er auf seinem
    Bienenstich herumkaute. »Die Telefongesellschaft hat bestätigt, daß Salvesen
    zwei Anschlüsse hatte. Der eine war fürs Internet.«
    »Internet«, wiederholte Billy T.
    »Ja. Komisch. In der Wohnung war nicht die Spur von einem Computer zu
    entdecken, und außerdem: Was zum
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    Henker wollte so ein Typ mit dem Internet? Also dachte ich, ich schau mir das
    alles noch mal an, weißt du. Kommst du mit?«
    Billy T. wollte nach Hause. Er hatte das Gefühl, nie mehr nach Hause
    zurückkehren zu können.
    Er wollte mit Hanne sprechen. Hanne wollte nicht mit ihm sprechen. Dreimal
    hatte er an ihre Bürotür geklopft. Jedesmal hatte sie sich bei seinem Anblick
    abgewandt. Sie hatte kein Wort gesagt, aber es war unmöglich gewesen, ihren
    gehobenen Schultern und dem eiskalten Blick zu trotzen, mit dem sie ihn
    bedachte, ehe sie sich umdrehte.
    »Wann wolltest du denn los?« fragte er müde.
    »So gegen vier. Vorher kann ich nicht. Du kommst mit?«
    »Wir treffen uns um vier in der Garage. Sorg du für ein Auto.«
    Als Billy T. die Kantine verließ, sah er den Rücken von Hanne Wilhelmsen, die
    den Fahrstuhl ansteuerte. Da sie nicht in der Kantine gewesen war, nahm er
    an, daß sie eine Besprechung mit dem Polizeipräsidenten gehabt hatte, dessen
    Büro im selben Stock lag. Billy T. blieb stehen, als sich die blanken Metalltüren schlossen. Dann trottete er die Treppen hinunter, so langsam, daß sie
    verschwunden sein würde, wenn er im dritten Stock ankäme.
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    Sigurd Halvorsrud saß auf einer matratzenlosen Pritsche in einer Zelle im
    Hinterhof des Polizeigebäudes und umklammerte seine Knie. Er bohrte die
    Nägel durch den Jeansstoff und in seine Haut, bis seine Fingerspitzen taub
    wurden. Für einen Moment ließ er los, um dann die Übung zu wiederholen.
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    »Unschuldig«, flüsterte er in die stickige, nach Schweiß stinkende Luft hinein.
    »Ich bin unschuldig. Unschuldig. Ich bin unschuldig.«
    Der Oberstaatsanwalt Sigurd Halvorsrud hatte niemanden getötet.
    Seines Wissens hatte er nie etwas Schlimmeres verbrochen, als ab und zu eine
    Geschwindigkeitsbegrenzung zu mißachten. Wenn ihm klares Denken hier
    noch möglich gewesen wäre, dann wäre ihm sicher eingefallen, daß er einmal
    eine Buße hatte zahlen müssen, weil er im kindischen Suff einem Kumpel eine
    gesemmelt hatte; am 17. Mai in dem Jahr, in dem er sechzehn geworden war.
    Doch Sigurd Halvorsruds Gehirn war heißgelaufen. Während seiner ersten
    Untersuchungshaft, als diese ganzen Absurditäten noch so neu waren, daß er
    seinen Scharfsinn einsetzen konnte, hatte er gehofft. Das hier war Norwegen.
    In Norwegen wurden keine Unschuldigen verurteilt. Wenn es doch ein
    seltenes Mal vorkam, dann ging es meist um Penner, Suffbrüder und
    halbkriminelle Verlierer, die das Verbrechen, für das sie verurteilt wurden,
    zwar nicht begangen hatten, die sich aber selbst dafür danken konnten, daß sie
    überhaupt ins Suchlicht der Polizei geraten waren.
    Sigurd Halvorsrud gehörte zu einem System, an das er glaubte; es war eine
    traditionsbewußte, zivilisierte Rechtspflege, der er nicht nur sein Arbeitsleben geweiht hatte, sondern die zugleich mit seiner Persönlichkeit verflochten war,
    seinem Ego, allem, was ihn ausmachte. Sein Glaube an sich selbst und an seine
    eigene Kraft beruhte deshalb in hohem Grad auf dem Vertrauen zum System.
    Während der ersten Wochen - als die gelben Wände ihn zu ersticken drohten
    und er sich jeden Morgen mit dem Wachpersonal gestritten hatte, weil er
    duschen wollte, wie er es gewohnt war, weil er Anzug und Schlips anziehen,
    sich ordentlich die
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    Haare mit Haarwasser kämmen und sich einmal die Woche die Nägel
    schneiden wollte, wie seine Gewohnheiten das vorschrieben — in dieser Zeit
    hatte er trotz allem an sich und damit an das System geglaubt. Daß er des
    Mordes an seiner Frau verdächtigt wurde, war einfach ein Versehen. Früher
    oder später würde die Polizei die Wahrheit

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