Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
nickte.
»Er drehte einfach durch. Ich weiß nicht recht, wie ich das erklären soll. Er
schlug ihr die Taschenlampe auf den Kopf. Dann. . . «
»War es seine eigene Taschenlampe?«
»Verzeihung?«
»War es Salvesens eigene Taschenlampe? Hatte er die mitgebracht, meine
ich?«
»Ja. Das muß er doch getan haben. Wir haben keine solche Lampe. Meines
Wissens zumindest nicht. Sie war groß. Und schwarz.«
Der Oberstaatsanwalt zeigte es mit den Händen, an die dreißig bis
fünfundvierzig Zentimeter.
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»Meine Frau brach vor dem Kamin zusammen, und ich konnte sehen, wie das
Blut aus ihrem Hinterkopf strömte. Dann nahm er das Schwert von der Wand.
Das Samuraischwert. Salvesen. Er packte das Samuraischwert und. . . «
Billy T. hörte fasziniert zu. Eigentlich hatte er das Verhör übernehmen wollen,
um Hanne Wilhelmsen zu entlasten. Auch für ihn war es kein Vergnügen, den
Samstag mit unbezahlten Überstunden zu verbringen. An diesem Wochenende
sollten seine Söhne bei ihm sein, und obwohl Tone-Marit mit den Kindern
eine Geduld zeigte, die fast schon an Dummheit grenzte, wollte er das
Schicksal doch nicht herausfordern. Die Hochzeit lag noch drei Monate und
ein Kind in der Zukunft.
Doch inzwischen interessierte ihn der Fall. Oder vielleicht war es eher Sigurd
Halvorsrud, der nun wirklich seine Aufmerksamkeit zu fesseln begann. Der
Mord selbst — die makaberste Hinrichtung, mit der Billy T. jemals zu tun ge-
habt hatte — war natürlich auch spannend. Doch Billy T. war lange genug bei
der Polizei, um sich nicht zur Unzeit faszinieren zu lassen. Das hier war ein
Fall wie alle anderen, ein Fall, der geklärt werden mußte.
Sigurd Halvorsrud dagegen war etwas ganz Besonderes.
Billy T. ertappte sich dabei, daß er diesem Mann glaubte.
So absurd ihm das auch vorkam.
Aller Wahrscheinlichkeit nach war Stäle Salvesen tot. Andererseits war die
Leiche noch nicht gefunden worden. Stäle Salvesen konnte das alles arrangiert
haben. Er konnte jetzt in einer Bar in Mexiko sitzen und einen Tequila Sunrise
genießen, von dem Geld, das er damals, als er noch auf dem grünen Zweig saß
und spürte, daß die Ordnungsmacht ihm a u f den Fersen war, rechtzeitig
beiseite geschafft hatte. Nur hatte bisher niemand auch nur die geringste
Vorstellung davon, warum in aller Welt Salvesen Doris Flo Halvorsrud
umgebracht hatte.
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Halvorsruds Geschichte wirkte auf paradoxe und fast provozierende Weise
glaubhaft. Er schluckte und erbleichte, stotterte und irrte sich, konnte sich
nicht erinnern und dachte dann an Details, wie an ein Muttermal oder viel-
leicht eine Warze auf Salvesens rechter Wange, gleich über dem Mund.
Zweimal konnte Billy T. sehen, daß der sonst so arrogante und selbstsichere
Mann kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Dann riß er sich zusammen,
wischte sich imaginäre Staubkörner vom Revers, räusperte sich leise und
erzählte weiter. Oberstaatsanwalt Halvorsrud benahm sich wie jemand, der
die Wahrheit sagt.
»Sie haben sich auf jeden Fall einen verdammten Haufen Probleme besorgt«,
sagte Billy T. schließlich und schaute auf die Uhr.
Es war zwanzig vor eins.
»Sie haben Ihre Frau also anderthalb Stunden lang angestarrt, ehe Sie die
Polizei informiert haben? Anderthalb Stunden???«
»So ungefähr«, sagte Halvorsrud leise. »Natürlich weiß ich das nicht mehr
genau, aber so ungefähr habe ich es mir zusammengerechnet. Im Nachhinein.
Mir kam es nicht so lange vor.«
»Aber warum in aller Welt haben Sie das gemacht?«
Billy T. breitete die Arme aus und warf dabei die mit Kugelschreibern und
Bleistiften gefüllte Coladose um. Die rutschten auf die Tischplatte und lagen
dort wie ein Mikadospiel, bei dem niemand sein Glück versuchen möchte.
»Ich. . . ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich stand unter Schock, stelle ich mir vor. Ich dachte an die Kinder. Ich dachte an. . . unser Leben. So, wie es
gewesen ist. So, wie es werden wird. Ich weiß es nicht recht. Mir kam es nicht
so lange vor.«
Billy T. konnte sich vorstellen, wofür Halvorsrud diese anderthalb Stunden
gebraucht hatte. Wenn er die Wahrheit
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sagte. Was vermutlich nicht der Fall war, wenn man an die Beweislage dachte.
»Sie konnten nicht fassen, daß Sie nicht eingegriffen hatten«, sagte Billy T.
und hörte, wie hart seine Stimme klang. »Sie haben sich zutiefst geschämt,
weil sie zugelassen hatten, daß ein Mann Ihre Frau mißhandelt hat, während
Sie keinen Finger gerührt haben.
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