Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
Vermutlich haben Sie sich gefragt, ob Sie mit
diesem Wissen überhaupt weiterleben können. Sie konnten sich nicht
vorstellen, wie Sie Ihren Kindern beibringen sollen, was passiert ist. Zum
Beispiel. Habe ich recht?«
Halvorsrud schnappte nach Luft. Er starrte Billy T. in die Augen, in seinem
Blick mischten sich tiefe Scham und frische Hoffnung.
»Sie glauben mir«, flüsterte er. »Es klingt so, als ob Sie mir glaubten!«
»Was ich glaube, bedeutet null und nichts. Und das wissen Sie sehr gut.«
Billy T. rieb sich mit der rechten Hand den Nacken und fischte mit der linken
einen Ordner aus der obersten Schreibtischschublade. Er knallte ihn auf den
Tisch, öffnete ihn aber nicht.
»Ich finde Ihre Geschichte interessant«, sagte er kurz. »Aber noch
interessanter fände ich Ihre Erklärung zu dieser Scheidungseinleitung, die in
Ihrem Müll gefunden wurde. Unterschrieben von Ihrer Frau, datiert am 4.
März. Am Tag ihres Todes. Am Tag, an dem jemand sie ermordet hat.«
Zum ersten Mal lief Halvorsruds Gesicht tiefrot an. Er schlug die Augen nieder
und rieb sich wie besessen die Hose über dem Knie.
»Ich wußte das nicht. Ich wußte nicht, daß sie wirklich. . . ich hielt unsere
kleinen Probleme der letzten Zeit für nicht relevant für diesen Fall.«
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»Nicht relevant?« brüllte Billy T. und sprang aus dem Sessel hoch.
»Nicht relevant«, schrie er noch einmal, stemmte die Pranken auf die
Tischplatte und beugte sich zum Staatsanwalt vor. »Und Sie wollen einer der
großen Macher bei den Anklagebehörden sein? Sind Sie. . . spinnen Sie denn
total, oder was?«
Auch Anwältin Borg sprang auf und hielt einen Arm vor ihren Mandanten, wie
um Billy T. an einem physischen Angriff auf den Mann zu hindern.
»Also wirklich. Das brauchen weder Halvorsrud noch ich uns gefallen zu
lassen. Entweder bewahrst du Ruhe und setzt dich wieder, oder ich werde
meinem Mandanten empfehlen, keine weiteren Fragen zu beantworten.«
»Gefallen lassen müßt ihr euch noch einiges«, fauchte Billy T. durch
zusammengebissene Zähne. »In diesem Ordner hier. . . «
Er klopfte mit den Fingern auf den geschlossenen Ordner.
» . . . habe ich Indizien dafür, daß something was really rotten in the house of Halvorsrud. Und eins müssen Sie sich klar vor Augen halten, Halvorsrud. . . «
Billy T. ließ sich wieder in den Sessel sinken und kratzte sich wütend mit
beiden Händen seinen kahlen Schädel, ehe er einen mahnenden Zeigefinger
auf den Anwalt richtete.
»In diesem Haus haben Sie nur einen einzigen Freund. Auf der ganzen Welt
haben Sie nur einen einzigen Freund. Und der bin ich. Karen zum Beispiel. . . «
Jetzt zeigte sein Finger auf die Anwältin.
» . . . ist eine glänzende Anwältin. Absolut tolle Frau. Sympathisches Mädel.
Aber sie kann Ihnen nicht einen Meter weiterhelfen. Nicht einen Meter,
verstehen Sie das? Ich dagegen, ich kann das, weil ich Ihre und Salvesens
Geschichte
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dermaßen unglaublich finde, daß ich sie gern genauer untersuchen möchte.
Mit jedem Tag, der vergeht, ohne daß sein Leichnam an Land gespült wird,
bessert sich Ihre Lage. Wenn ich das will. Wenn Sie sich als kooperativ
erweisen. Wenn Sie meine Fragen beantworten und außerdem Ihr verdammt
riesiges Gehirn nutzen, um zu kapieren, daß Sie mir auch das erzählen
müssen, wonach ich Sie nicht frage. Klar?«
Es war ganz still. Das schwache Rauschen des Computers verstärkte den
Eindruck totaler Stille nur noch.
»Tut mir leid«, sagte Halvorsrud endlich, inzwischen war sicher eine Minute
vergangen. »Es tut mir wirklich leid. Natürlich hätte ich darüber sprechen
müssen. Aber es kam mir so weit weg vor. Im Moment, meine ich. Wir hatten
wirklich eine schwierige Phase. Doris hatte von Trennung gesprochen. Aber
ich wußte nicht, daß sie schon konkrete Schritte unternommen hatte. Am
Donnerstag, ehe Salvesen gekommen ist. . . «
In seiner Salvesen-Geschichte ist er immerhin bemerkenswert konsequent,
dachte Billy T. erschöpft.
» . . . war alles sehr harmonisch. Ich hatte mir für Freitag freigenommen, wir
wollten das ganze Wochenende miteinander verbringen. Allein. Die Kinder
sind verreist.«
Als er die Kinder erwähnte, huschte wieder etwas, das Ähnlichkeit mit
körperlichem Schmerz hatte, über sein Gesicht; eine Muskelanspannung unter
seinen Augen, eine Wellenbewegung unter den Wangenknochen.
»Ich muß das aufschreiben, ehe wir weitermachen können«, sagte Billy T.
Er drehte seinen Sessel zur
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