Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
Tastatur um. Obwohl er nur mit drei Fingern
schrieb, ging es schnell. Das Klappern der Tasten ließ Anwältin Borg und
Oberstaatsanwalt Halvorsrud schweigen. Karen Borg schloß die Augen und
hatte das Gefühl, daß ihr das Schlimmste noch bevorstand. Hanne Wilhelmsen
hatte versprochen, ihr nach diesem Verhör alle
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Unterlagen auszuhändigen, und das hatte sie akzeptiert. An sich war es
ungeheuerlich, zu einem wichtigen Verhör zu erscheinen, ohne auch nur eines
der dazugehörigen Dokumente gesehen zu haben. Andererseits wußte sie, daß
Hanne sie niemals übers Ohr hauen würde. Nicht direkt. Wenn Karen Borg
jetzt eine unangenehme Vorahnung gekommen war, dann, weil sie Billy T.
kannte. Sie wußte, was die Flecken auf seinem Hals bedeuteten.
»Na gut«, sagte Billy T. plötzlich und wandte sich wieder Halvorsrud zu. »Sie
wußten also nichts von diesen konkreten Trennungsplänen. Aber können Sie
mir erzählen, warum in Ihrem Keller in einem alten Medizinschränkchen
hunderttausend sorgfältig eingewickelte Kronen lagen?«
Der Oberstaatsanwalt wurde nicht rot. Er brachte auch keinerlei Erstaunen
zum Ausdruck. Keine Schuldgefühle. Ihm sackte nicht das Kinn herunter, und
er breitete nicht die Hände aus. Er starrte Billy T. vollkommen leer und aus
Augen heraus an, die wieder so aussahen wie am Morgen, rot und tot.
»Hallo«, sagte Billy T. und schwenkte fünf Finger durch die Luft. »Ist da
jemand? Was hat dieses Geld zu bedeuten?«
Halvorsrud fiel in Ohnmacht, ganz still und ruhig.
Erst schlossen sich seine Augen, als wolle er ein Nickerchen einlegen. Danach
glitt sein starrer Oberkörper langsam zur Seite. Und hörte erst damit auf, als
sein Kopf gegen die Wand neben dem Fenster knallte. Halvorsrud sah aus wie
ein Fluggast, der den Film nicht weiter ansehen möchte. Sein Atem war kaum
spürbar.
»Verdammt«, sagte Billy T. »Ist er tot?«
Karen Borg packte Halvorsrud am Revers.
»Hilf mir doch«, fauchte sie, und zusammen bugsierten sie Halvorsrud auf
dem Boden in die stabile Seitenlage, dann rief Billy T. einen Unfallwagen und
zwei Polizisten, die den Patienten ins Krankenhaus begleiten sollten.
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»Habt ihr noch mehr?«
Der Fleck auf Karen Borgs cremefarbenem Rock war größer geworden. Sie
versuchte ihn mit der Hand zu verdecken, dann gab sie auf. Sie streifte die
Schuhe ab und rieb sich die Fußsohlen. Sie waren allein in Billy T.s Büro. Er
gab keine Antwort.
»Hanne hat mir die Unterlagen für heute versprochen«, sagte Karen deshalb.
»Ich gehe davon aus, daß dieses Versprechen noch immer gilt.«
Billy T. nahm einen Stapel Kopien aus einem emaillierten Wandregal. Rasch
durchblätterte er die Papiere, dann entfernte er zwei mit einer Büroklammer
zusammengeheftete Blätter.
»Die kannst du haben«, sagte er und gähnte noch einmal, als er ihr den Stapel
reichte. »Der Rest muß warten, bis ich weiter mit deinem Mandanten
gesprochen habe. Das mit der Kohle hat ihm ja offenbar so ziemlich eine
reingehauen . . . «
Nachdenklich starrte er aus dem Fenster. Es regnete jetzt; große schwere
Wassertropfen jagten einander in Streifenmustern über das schmutzige
Fensterglas.
»Kann ich bald mal bei euch vorbeikommen?« fragte Billy T. plötzlich. »Am
liebsten abends. Ich muß etwas Wichtiges mit euch besprechen. Mit dir und
mit Häkon, meine ich.«
»Natürlich. Kannst du schon mal was andeuten? Worum geht es? Etwas
Ernstes?«
Sie tauschten einen so langen Blick, daß Karen schließlich eine Grimasse
schnitt und auf ihren wehen Fuß starrte.
»Glaube schon«, sagte Billy T. leise. »Ich komme am Montagabend. Okay?
Falls diese Bude hier bis dahin nicht abbrennt.«
»Die bleibt stehen, bis das Dovregebirge einstürzt«, murmelte Karen und zog
ihre Schuhe wieder an. »Willst du
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nicht schon heute kommen? Wir sind zu Hause und haben nichts weiter vor.«
Billy T. dachte nach.
»Nein«, sagte er endlich. »Wir sehen uns am Montag. Gegen acht.«
II
Mit dreizehn schnitt Eivind Torsvik sich beide Ohren ab.
Er hatte durchaus nicht vor, am Blutverlust oder einer Infektion zu sterben.
Am Vortag hatte er sich für gestohlenes Geld in der Apotheke sterile
Kompressen und drei Rollen Pflaster gekauft. Er legte die abgeschnittenen
Ohren in eine mit Watte ausgelegte Schachtel und zog mit blutverkrusteten
Ohrlöchern in die Schule, um dem Lehrer sein Werk zu zeigen.
Und das war nötig gewesen.
In vieler Hinsicht hatte er schon damals das Gefühl gehabt, es
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