Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
unter solchen
Bedingungen verliert man das Zeitgefühl. Nehme ich an. Mir ist das jedenfalls
passiert. Aber ich bin ganz sicher, daß er es war. Er. . . «
»Aber woher wußten Sie das?« fiel Billy T. ihm ins Wort. »Woher kennen Sie
einen Frührentner, der in einer Sozialwohnung in Ostoslo wohnt?«
Anwältin Karen Borg betrat das enge Büro. Überrascht starrte sie den
Polizeibeamten an.
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»Billy X«, sagte sie tonlos. »Ich dachte, Hauptkommissarin Wilhelmsen sollte
. . . «
»Die schläft sich aus.« Billy T. lächelte. »Was du offenbar auch getan hast.
Hektischer Morgen mit den Kleinen?«
Karen Borg strich sich beschämt die Haare glatt und versuchte, einen
Schokoladenfleck von ihrem naturfarbenen Leinenrock zu wischen. Der Fleck
wuchs. Sie starrte ihn für einen Moment an, seufzte leise und setzte sich in den freien Sessel, ohne ihren Ordner aufzuschlagen.
»Und wo seid ihr gerade?« fragte sie mit angespanntem Lächeln.
»Ich versuche, in Erfahrung zu bringen, woher der Oberstaatsanwalt einen
Kerl ohne Freunde mit einem Einkommen von unter fünfzigtausend kennt«,
gähnte Billy T. »Und leicht ist das nicht, das kann ich dir sagen. Hätten Sie
gern ein Magenmittel, Halvorsrud?«
Er fischte zwei lose Tabletten aus einer Schachtel mit Büroklammern.
»Danke«, murmelte der Staatsanwalt und spülte beide mit Kaffee hinunter.
Der Lärm eines Hubschraubers, der in geringer Höhe über Oslo sein Schrapp-
Schrapp verbreitete, drang ins Zimmer. Billy T. beugte sich zum Fenster vor
und schaute aus zusammengekniffenen Augen in die Sonne. Zum ersten Mal
seit mehreren Wochen unternahm die einen halbherzigen Versuch, die
winterstarre Hauptstadt aufzutauen, doch lange hielt sie nicht durch. Das
gelbe Loch im Himmel wurde von einer schweren grauen Wolke verschlossen,
und der Hubschrauber verschwand in Richtung Westen.
»Stäle Salvesen war früher ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann«, sagte
Halvorsrud laut und sah seine Anwältin an. »In den achtziger Jahren. Er war
geschäftsführender Direktor einer vielversprechenden Computerfirma, Aurora
Data. Wir könnten Salvesen als einen typischen Gründer
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bezeichnen. Totaler Autodidakt, der alles über Computerprogramme wußte.
Einmal wäre Aurora Data sogar um ein Haar von Microsoft aufgekauft
worden. Da Salvesen über die Aktienmehrheit verfügte, blieb es bei diesem
Versuch. Er wollte den Laden selbst leiten. Der Mann hatte Visionen, das muß
man ihm lassen. Die Firma war ihrer Zeit voraus und entwickelte einen. . . «
Halvorsrud kratzte sich am Handrücken und schaute dann endlich den
Polizeibeamten an.
»Ich habe so wenig Ahnung von diesen Dingen. Damals wußte ich es natürlich,
aber ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Es war auf jeden Fall etwas,
das mit dem Internet zu tun hat. E i n . . . Browser? Ich bin nicht mehr sicher.«
Er zuckte kurz mit den Schultern und musterte einen Kratzer in der
Tischplatte. Sein Zeigefinger lief über dieser unebenen Stelle hin und her.
»Und dann kam gegen Ende der achtziger Jahre die Wirtschaftskrise. Neue
und bisher ziemlich erfolgreiche Firmen kippten um wie Dominosteine.
Aurora Data überlebte. Seltsamerweise.«
»Warum sagen Sie das?« fragte Billy T. »Sie haben diese Firma doch selbst als
solides Unternehmen bezeichnet.«
»Nicht gerade solide. Spannend. Vielversprechend. Großes Potential. Alles,
was damals durchaus keine Garantie gegen die Katastrophe war. Daß Aurora
Data trotzdem überlebte, war vor allem dem Durchbruch eines ihrer Pro-
gramme zu verdanken. Soweit ich mich erinnere, war es maßgeschneidert für
Nachrichtenredaktionen. Für Fernsehen, Radio und Zeitungen. Und dann ging
Aurora an die Börse.«
Billy T. war ein Mann, der sich in seinen eigenen Schwächen sonnte. Diese
kolossale Gestalt prahlte mit allem, was sie nicht konnte oder wußte. Es war
ihm nicht
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peinlich, nach einer Erklärung für die allereinfachsten Probleme zu fragen.
Nachdem Anne Grosvold Schlichtheit zur Tugend gemacht hatte und mit
kompakter Naivität zur Fernsehkönigin geworden war, hatte Billy T. ein Foto
von ihr an seiner Pinnwand befestigt. Da stand sie nun, üppig und munter und
mit ausgestreckten Armen, als wolle sie Billy T. und seinem immer
freimütigeren Umgang mit seiner eigenen angeblichen Unwissenheit ihren
Segen erteilen. Nur eines mochte er nicht zugeben. Daß er keine Ahnung von
wirtschaftlichen Fragen hatte.
Billy T. hatte nur unklare
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