Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
fragte sie ungläubig. »Jetzt?«
»Ja. Du und ich. Einen Spaziergang. Einen Arbeitsspaziergang. Wir können
unterwegs über den Fall reden. Ich könnte ein bißchen frische Luft vertragen.«
Er sprang so abrupt auf, daß sein Stuhl fast umgefallen wäre, und ging auf die
Tür zu, als sei die Sache schon entschieden.
»Komm!« kommandierte er und schlug ihr auf die Schulter.
Hanne wand sich und blieb sitzen.
»Nimm Kontakt zur Wirtschaftskripo auf, Karianne. Sieh dir die Fälle an, von
denen auf den Disketten die Rede ist. Stell fest. . . « Sie hob die Hände und
zählte an ihren Fingern mit. » . . . o b da noch ermittelt wird, ob es irgendwann zu einer Anklage gekommen ist, ob die Ermittlungen eingestellt worden sind
und. . . «
Hanne verstummte.
»Und wer in diesem Fall die Einstellung beschlossen hat«, fuhr sie fort.
»Wenn es Halvorsrud war, dann bitte einen Staatsanwalt, sich das genauer
anzusehen. Ob die Einstellung wirklich begründet war. Und du, Karl. . . «
Sie starrte den Polizeibeamten Sommaroy an. Es fiel ihr immer schwer, ihm in
die Augen zu sehen. Ihr Blick wanderte in der Regel über sein Gesicht nach
unten; faszinierenderweise war er fast kinnlos. Bei ihrer ersten Begegnung
hatte sie einen schicksalhaften Unfall für seine seltsame untere Gesichtshälfte
verantwortlich gemacht. Der Mann war hochgewachsen und athletisch, er
hatte kräftige lockige Haare. Seine Augen waren groß und grün, mit kurzen,
maskulinen Wimpern. Die kühn geschwungene, große Nase hätte seiner
ganzen Gestalt eine fast autoritäre Prägung gegeben, wenn das Gesicht nicht
unter dem schmalen Mündchen mehr oder weniger aufgehört hätte. Gott
schien sich mit Karl Sommaroy einen üblen Scherz erlaubt und
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ihm die Kinnpartie eines vierjährigen Kindes verpaßt zu haben.
»Du suchst alles zusammen, was wir bisher an Zeugenaussagen haben,
schreibst eine Zusammenfassung und legst sie vor morgen früh um neun auf
meinen Schreibtisch. Zusammen mit Kopien aller Verhöre.«
»Das sind aber schon fast zwanzig«, klagte Karl Sommaroy und trommelte mit
der linken Hand auf dem Tisch herum. »Und in keinem wird etwas wirklich
Wichtiges gesagt.«
»Dann kann es ja keine große Aufgabe sein. Morgen früh um neun.«
Hanne Wilhelmsen erhob sich.
»Ich geh jetzt frische Luft schnappen«, erklärte sie und lächelte so breit, daß
die Neulinge im Besprechungszimmer sie überrascht anstarrten.
In der Türöffnung fuhr sie noch einmal herum und nickte Karianne Holbeck
zu.
»Du weißt doch, worauf ich mit den Fällen auf den Disketten hinauswill?«
»Ich habe mir das auch schon überlegt«, sagte Karianne mit einem tiefen
Seufzer. »Wenn wir recht haben, dann steckt Halvorsrud ziemlich in der
Tinte.«
»Das tut er ohnehin schon«, murmelte Erik Henriksen. »Ich wette einen
Tausender, daß der Kerl lügt wie gedruckt.«
Niemand mochte dagegen halten.
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Evald Bromo hatte das Internet noch nie für diese Dinge benutzt. Er wußte,
wieviel es dort draußen gab. Aber er hatte sich nie getraut.
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Apathisch starrte er die sinnlosen Muster des Bildschirmschoners an. Ein
Kubus zerfiel zu Kugeln, die dann wuchsen, sich in Blumen verwandelten, die
verwelkten und zu einem vierfarbigen Dreieck wurden. Wieder und wieder.
Langsam nahm er die Brille ab, putzte sie gründlich mit dem Hemdzipfel und
setzte sie wieder auf. Das Dreieck wurde zum Kubus. Der Kubus zu
wachsenden Kugeln.
»Der Äsgardausbau«, sagte er halblaut zu sich selbst und griff nach der Maus.
Der Bildschirmschoner verschwand. Eine leere Seite tauchte vor ihm auf. Sie
war seit zwei Stunden nicht verändert worden.
Offenbar war Statoil im vielleicht größten Prestigeprojekt der fast dreißig
Jahre langen Geschichte dieser staatlichen Ölgesellschaft bei der
Budgetplanung ein katastrophaler Fehler unterlaufen. Die endlos lange
Äsgardkette — der Ausbau des Feldes auf der Haltenbank, die Rohrgasleitung
bis nach Karsto in Rogaland, der Ausbau der Raffinerie und der
Rohrgasleitung Europipe II — sollte plangemäß an die fünfundzwanzig
Milliarden Kronen kosten. Nach allem, was Evald Bromo gehört hatte, lagen
die neuen Berechnungen bis zu fünfzehn Milliarden über dem ursprünglichen
Betrag. Wenn das stimmte, dann konnte man unmöglich sagen, wer in zwei
Monaten noch aufrecht auf dem Schlachtfeld stehen würde. Bestimmt nicht
der Konzernchef. Und auch nicht der Aufsichtsrat.
Evald Bromo konnte kein Wort schreiben.
Er dachte
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